Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/01      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Kleine Chronologie bisher nicht erfolgter Abschiebung

Oder: Die Verwaltung macht keine Fehler?

Oldenburg ist eine Reise wert? Mittenrein wird eine Frau verschleppt, wochenlang gefangen gehalten, wiederholt vergewaltigt. Die "Befreiung" bringt Untersuchungen hinsichtlich der erfolgten Gewalttaten mit sich, Beistand jeglicher Art läßt jedoch vergeblich auf sich warten. Stattdessen folgt Abschiebehaft. Gegenüber dem STACHEL gibt die Polizei sprachliche Barrieren zu. Soweit die Situation bis zur Erstellung der vorangegangenen STACHEL-Ausgabe.

Die Verwaltung(en)

Während derVerwaltungsausschußsitzung im März soll die Stadtverwaltung die Position vertreten haben, die mißhandelte Frau wolle ja so schnell wie möglich nach Hause zu Mann und Kind. Da sei der Weg über die Abschiebungshaft die beste Lösung. Die gleiche Position vertritt die Pressestelle der Stadt am darauf folgenden Mittwoch. Es folgt die Bitte, doch fair mit dem Mitarbeiter der Stadt zu sein. Es sei lediglich der Wochenenddienst tätig gewesen. Ebenso bei dem Gericht, das über die Abschiebung befunden habe. Im Übrigen habe die Stadt erst (aber eben dort, d. Verf.) während der Gerichtssitzung von der Vergewaltigung erfahren.

Die Frau habe keine Papiere. Der Ersatz sei über die Abschiebungshaft zu beschaffen. (Wie ja auch für Deutsche Personalausweis und Reisepaß in der Regel nur nach angemessener U-Haft zu bekommen sind, oder? D.Tipper) Außerdem sei das der preiswerteste Weg für sie und der schnellste zugleich, um nach Hause zu kommen. Zwei Tage später antwortet die Pressestelle der Bezirksregierung, die mit dieser Aussage konfrontiert wird, "so" hätte man das nicht formuliert, doch die Aussage von dort ist die gleiche.

Von Justiz zur Polizei: die sieht's rein sachlich

Zurück zum Mittwoch: Die Staatsanwaltschaft habe in dieser Angelegenheit mitzuentscheiden, heißt es mittlerweile. Doch die will von gar nichts wissen. Später wird von dort bestätigt, daß es einen solchen Vorfall gibt, die Akten lägen jedoch bei der Polizei. Dort ist der zuständige Pressesprecher ortsabwesend. Der Stellvertreter bemerkt mit der akustischen Geste des Bedauerns, daß die Frau zwar einerseits die Eigenschaft eines Opfers habe, doch zugleich auch eine Täterin sei, denn sie verstieß gegen das Ausländergesetz. Diesem Umstand habe die Polizei Rechnung tragen müssen. Delikt ist eben Delikt! Festgestellt wird, daß viele verschiedene polizeiliche Fachabteilungen an der "Sache" beteiligt gewesen seien, was den Ablauf nicht vereinfacht hat.

Die Landesregierung

Der Innenminister ist nicht zu sprechen. Doch es gibt einen fachlich versierten Mitarbeiter. Obgleich die Landesregierung in dieser Angelegenheit bereits drei Tage vorher vom Arbeitskreis Asyl Oldenburg per Fax angeschrieben wurde, ist dort nichts bekannt.

Das der Redaktion vorliegende Fax des Arbeitskreises wird noch einmal an die Regierung gesandt. Von dort kommt das Versprechen, sich um die Angelegenheit zu kümmern.

Keine psychologische Hilfe

Am Freitag hat sich - wie angedeutet - in der offiziellen Betrachtung seitens der Verwaltungen nichts geändert. Die Frau wolle nach Hause, Abschiebehaft sei der schnellste Weg. Es wird bestätigt, daß die Frau keine psychologische Betreuung erhalten habe. (Obwohl bekannt war, daß sexualisierte Gewalt stattgefunden hat. D. Verf.)

Verbot der Abschiebung bei Menschenhandel

Ein Rechtsanwalt bestätigt, daß die Frau bei Bekanntwerden auch nur des Verdachts von Menschenhandel keinesfalls hätte abgeschoben werden dürfen, sondern im Gegenteil alle erdenkliche Hilfe bekommen muß. Damit konfrontiert, hat die Landesregierung eine tatsächliche Neuigkeit bereit: Die Frau ist raus. Die Nachfrage bei der Schutzeinrichtung, wo sie jetzt ist, bestätigt dies. Mit dieser Information werden die Medien, die bisher zu der Angelegenheit berichteten, unterrichtet. Doch kein Bericht in der Sonnabend-BildWest, keiner in der Sonntagszeitung. Die Nachrichten im Offenen Kanal senden kurz - fast alles muß mensch selbst machen.

Liebes Radio: Bitte schriftlich fragen

Am Dienstag weiterer Kontakt mit der Pressestelle der Stadt. Hätte die Frau gar nicht in Haft genommen werden dürfen? Plötzlich will die Stadtverwaltung bereits am Montag vor einer Woche sich intensiv um die Entlassung der Frau in angemessene Betreuung bemüht haben. Doch vom angesprochenen Verein aus Hannover seien keine angemessenen Antworten gekommen. Mit der Überraschung konfrontiert, warum davon in der vergangenen Woche keine Rede gewesen sei, gibt es eine ebenso überraschende Reaktion seitens der Pressestelle: Die Fragen mögen bitte schriftlich eingereicht werden - das ist bei der Produktion einer Rundfunksendung sicherlich hilfreich. So bleibt es bei einem Bericht über eine Mitteilung des Arbeitskreises Asyl in den Nachrichten des Offenen Kanals.

Eine gute Adresse: Das Autonome Frauenhaus

Am Mittwoch folgt ein weiterer Anruf bei der Pressestelle der Stadt. Auf die erneute Frage heißt die Gegenfrage von dort: Wo hätte die Stadt die Frau unterbringen sollen. Das Autonome Frauenhaus hat hierauf eine eindeutige Antwort parat: Bei uns. Das Autonome Frauenhaus gibt es seit 23 Jahren in Oldenburg. Doch diese Erkenntnis scheint selbst bis jetzt nicht bis Polizei und Stadtverwaltung durchgedrungen zu sein. Vielleicht ist dies auch ein Hinweis auf die Wahrheit der Erkenntnis von Theodor W. Adorno, der auf die Reversibilität der Aufklärung hinwies.

Stadtverwaltung: Wir gegen uns

Die Stadtverwaltung untermauert: Nicht die Landesregierung habe für die Freilassung der Frau interveniert (vgl. NWZ 20.3.01), sondern aus eigener Initiative sei versucht worden, den selbstgestellten Antrag auf Abschiebehaft aufzuschieben durch eine Aufnahme in eine geeignete Betreuung. Unverständlich bleibt, warum die Stadt soviel Wert darauf legt, Urheberin der Entlassung der Frau aus der Haft zu sein. Die Landesregierung sieht das gelassen: Wenn die Stadt das so betrachtet haben möchte ... Doch der jetzt die Frau betreuende Verein weiß nichts davon, daß die Stadt Oldenburg sich gemeldet habe ...

Schuldfrage ungeklärt: Stadt schiebt's zur Polizei

Auch erklärt das immer noch nicht, warum sie überhaupt - gesetzeswidrig - in Haft genommen wurde. Doch da möchte die Stadtverwaltung als Antragstellerin lieber die Polizei in der Verantwortung sehen. Die Polizei habe engeren Kontakt gehabt, das hätte doch dort entschieden werden müssen... So war ja auch die erste Erklärung am Mittwoch zuvor gewesen: Die Stadtverwaltung habe lediglich Amtshilfe geleistet, die Polizei sei für den Antrag nicht zuständig...

Und das Gericht?

Es war zwar Wochenende, doch auch dem Haftrichter soll die Tatsache der Freiheitsberaubung und der Vergewaltigungen zur Kenntnis gekommen sein. Opfer von Menschenhandel dürfen nicht abgeschoben werden! Warum hat das Gericht den Antrag der Stadt auf Abschiebungshaft bestätigt? Müssen bei Gericht tatsächlich die einschlägigen Bestimmungen nicht bekannt sein?

So ein Mist!

Wer da an welcher Stelle - wie auch immer (möglicherweise) begründeten - Mist gebaut hat, werden vielleicht nur die Beteiligten selbst erahnen - so sie denn sensibel genug sind, mitzubekommen, was sich hier ereignete. Oder ob die Strukturen verantwortlich sind und dringender Veränderung bedürfen - vermutlich war es ein "perfektes" Zusammenspiel von Menschen im Räderwerk der Bürokratie: Sicher ist, wer das Opfer ist. Das ist die Frau, die bereits vorher Opfer männlicher Gewalt wurde. Und es ist die Menschlichkeit, die mal wieder vor aller Bürokratie auf der Strecke blieb.

Erfräuliche Hoffnung

Wie jüngst deutlich wird, geschieht solches "männliches" kriminelles Handeln gegen die Menschlichkeit europaweit und organisiert. Es gibt - anderenorts - Erfolge zu verzeichnen. Die Polizei hat gerade einen Ring von Menschenhändlern festgenommen, die Frauen gegen ihren Willen in dieses Land brachten. Erfräulich ist bei allen bitteren Pillen, daß es zu einem Runden Tisch kommen soll, der solche Chaotismen für die Zukunft verhindern helfen soll. Und vielleicht wird der Frau ja wenigstens für die unrechtmäßige Haft eine Entschädigung zugesprochen. Zu befürchten ist andererseits, daß es beim Handeln von Verwaltung und Polizei nicht zu einer Verbesserung des Handelns kommen wird, sondern sich dort eingebunkert wird - zu diesem Thema werden einfach keine Informationen in die Öffentlichkeit gegeben. Vielleicht könnte ein Runder Tisch helfen, an den alle an solchen Situationen Beteiligten zusammen kommen sollten, um die Situation zukünftiger Opfer zu verbessern.

Nachsatz: "Freunde und Helfer"?

Justizminister Pfeiffer sprach zur Eröffnung der Kampagne "Erziehung ohne Gewalt" in Oldenburg. Er zeigte auf, daß Kinder, die Opfer von Gewalttaten wurden, sich keine Hilfe suchen, wenn sie nicht mit Verschwiegenheit rechnen können. So werden z.B. nicht die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes um Rat befragt, da die Kinder befürchten müssen, so Pfeiffer, daß sofort bei der Polizei angerufen wird. Ja, spricht denn etwas dagegen, die Polizei zu rufen? Wenn das sogar der Justizminister gelegentlich als Problem zu erkennen scheint ... "Die Polizei, Dein Freund und Helfer" - diese Devise hat durch die Aktionen gegen die junge Frau ein weiteres Mal erheblichen Schaden genommen. Da ist ein Mensch Opfer übelster Gewalt und miesester Behandlung, die jemand wohl überhaupt erleben kann. Und die Behörden haben nichts Besseres zu tun, als gründlich nachzusehen, ob bei dem Opfer nicht auch etwas Strafbares zu finden sei. Für solche Freundschaft bedanken wir uns.

Gerold Korbus

Kontakte:

Arbeitskreis Asyl, Donnerschweer Str. 16, 26123 Oldenburg, Tel./Fax: 0441,15662 (Q), Emil: reinhold@isgard.de

Autonomes Frauenhaus e.V.: Tel. 0441,47981

Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt: 0441,71017

Arbeitskreis Konkrete Unterstützung: Über Alhambra, Tel. 0441,14402, im Netz: http://www.alhambra.de/aaol/AA_OL4.html

Oldenburg im WorldWideWeb: http://www.oldenburg.de, Emil: presse@stadt-oldenburg.de

Bezirksregierung Weser-Ems, Theodor-Tantzen-Platz 8, 26122 Oldenburg, fon: 04 41-799-0, fax: 04 41-799-20 04, Emil: Poststelle@br-we.niedersachsen.de

Bezirksregierung Weser-Ems im WorldWideWeb: http://www.br-we.niedersachsen.de/ Bezirksregierung Weser-Ems, Theodor-Tantzen-Platz 8, 26122 Oldenburg, fon: 04 41-799-0, fax: 04 41-799-20 04, Emil: Poststelle@br-we.niedersachsen.de

Die folgenden Beratungsstellen stehen u. a. zu diesem Zweck zur Verfügung: Phoenix e. V., Beratungsstelle für weibliche und männliche Prostituierte und spezielle Angebote für osteuropäische Prostituierte, Postfach 4762, 30047 Hannover, Tel. (05 11) 1 46 46, Telefax (05 11) 1 61 26 79

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg - IBMK -, Zentrale Koordinationsstelle zur Flüchtlingssozialarbeit in Niedersachsen, Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg, Tel. (04 41) 7 98-40 09, Telefax (04 41) 7 98-22 39

Etno-Medizinisches Zentrum Hannover e. V., Egestorffstraße 2, 30449 Hannover, Tel. (05 11) 44 76 53-4, Telefax (05 11) 45 72 15

Auf dieses Beratungsangebot ist durch die Behörden frühzeitig hinzuweisen (z. B. durch Aushändigen von Merkblättern). Eine Kontaktaufnahme zu diesen Stellen sollte unterstützt werden. (Auszug aus Runderlaß Niedersachsen: RdErl. d. MI v. 16.4.1997 - 45.21-12231/4-1)

 

 
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