Ausgabe 3/01 | Seite 7 | |||||
Solidarität ist WiderstandWir erleben deshalb heute den größten Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte: Die Bundeswehr, die laut Grundgesetz eine reine Verteidigungsarmee sein soll, wird zu einer Angriffstruppe umgebaut. Wozu das dienen soll, wurde 1992 im Entwurf zu den Verteidigungspolitischen Richtlinien klar benannt. Aufgabe der Bundeswehr sei unter anderem, den Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt zu sichern, hieß es dort. 1999 wurde dann völkerrechtswidrig Jugoslawien bombadiert. Mit einem ungeheuren Propaganda-Aufwand wurde dies der hiesigen Bevölkerung als "humanitärer Einsatz" verkauft. Mittlerweile wurde aufgedeckt, daß dabei systematisch gelogen wurde. Bereits die Formulierung in den verteidigungspolitischen Richtlinien, die später wieder gestrichen wurde, war ein offener Bruch mit dem gesellschaftlichen Konsens, der bis dahin seit 1945 geherrscht hatte: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Wo waren die Demokraten und einigermaßen friedlich gesonnenen Menschen, die sich lautstark darüber aufregten? Als dann der Jugoslawien-Krieg kam, haben selbst viele ansonsten kluge und kritische Leute einfach nicht begriffen, daß das gar nichts anderes sein kann als die Umsetzung der neuen Militärpolitik. Viele haben geglaubt, es sei nun aus Humanität notwendig, in den Krieg zu ziehen. Hätte es damals bei der Sache mit den verteidigungspolitischen Richtlinien den nötigen Aufschrei gegeben, dann wären die Propagandalügen sicher seltener geglaubt worden. Wenn sie beim Angriff auf Jugoslawien nicht gesagt hätten, es sei humanitär, dann hätte es hier wohl doch einiges an Randale gegeben. Wenn sich im Nachhinein rausstellt, daß es nicht so war, und das von der Bevölkerung hingenommen wird, dann geben wir unser Einverständnis dazu, daß "unsere Jungs" in Zukunft über andere Länder herfallen, wie es der deutschen Regierung grade paßt. Wenn wir hinnehmen, daß ein Kernstück des Grundgesetzes wie das Verbot von Angriffskriegen einfach zum belanglosen Fetzen Papier gemacht wird, wird das mit jedem Teil dieses Gesetzes passieren können und vielleicht mit diesem Gesetz als Ganzes. Wenn wir schweigend hinnehmen, daß in dieser Frage gelogen worden ist - welches Unrecht wird dann zu groß sein und welche Lüge zu schlimm? Die in der Sendung "Am Anfang war die Lüge" öffentlich gewordenen Vorgänge müssen Konsequenzen haben. Die Wahrheit muß zunächst einmal auf den Tisch: Wer hat gelogen, welche Interessen stecken dahinter? Und was wollen wir für die Zukunft? Da es anscheinend keine große und bundesweit organisierte Friedensbewegung mehr gibt, sind die Ostermärsche die einzige Gelegenheit, aus der weitgehenden Isolation rauszukommen und zu zeigen, daß es uns reicht! Neue Nato-Strategie und Umrüstung auf Angriffsfähigkeit wird dieses Jahr bundesweites Thema der Ostermärsche sein. Der Ostermarsch ist dieses Jahr nicht "das übliche Familientreffen" ist, sondern er hat eine politische Bedeutung, die er mindestens seit der Wiederbewaffnung, wenn nicht sogar seit Bestehen der Bundesrepublik, nicht mehr hatte. Bei der Wiederbewaffnung ging es "nur" darum, ob dieses Land wieder eine Armee haben sollte oder nicht. Jetzt geht es darum, ob dieses Land wieder Angriffskriege führen darf! Solidarität International unterstützt die Kämpfe der Menschen weltweit um Selbstbefreiung. Es wird zu einer vordringlichen Aufgabe, diese Kämpfe vor deutschem Militär zu schützen. Wir setzen uns deshalb gegen die beschönigend "militärische Interventionen" genannten Angriffskriege und ihre Vorbereitung ein. Dies wird bei uns auch nach dem Ostermarsch noch Thema sein, denn - wie gesagt - es geht dieses Jahr nicht um die Tradition, sondern darum, den Widerstand gegen die aggressive deutsche Kriegspolitik zu organisieren. Es ist keine Selbstverständlichkeit, andere Länder zu überfallen, wenn einem die dortigen Verhältnisse nicht passen. Man darf darüber nicht allein auf der Ebene diskutieren, ob die Verhältnisse in diesen Ländern "wirklich schlimm" sind oder nicht. Im übrigen muß man sich einmal anschauen, wie viele diktatorische Regimes von den USA und auch von der Bundesregierung unterstützt wurden und werden. Immer wieder in die Kritik geraten ist z.B. die Lieferung deutscher Panzer an die Türkei. Die türkische Regierung hat einen langen, grausamen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung geführt. Massaker gab es dabei genug. Aber auch die nichtkurdische Opposition des Landes wird mit der Brutalität eines Militärregimes verfolgt. Die türkische Regierung schreckt dabei nicht einmal davor zurück, regelrecht militärische Überfälle auf Gefängnisse zu starten, wo sich politische Gefangene im Hungerstreik gegen die Folter befinden. Wer ein solches Regime auch noch durch Waffenlieferungen unterstützt, ist als Hüter der Menschenrechte vollkommen unglaubwürdig! Nach amtlicher bundesdeutscher Statistik wurden 1999 mehr als doppelt so viele Kriegswaffen in alle Welt geliefert wie 1998 (1998: Waffen im Wert von 1,338 Milliarden, 1999: im Wert von 2,844 Milliarden). Wichtigste Empfängerländer waren Israel und die Türkei. Die Bundesregierung muß sich die Frage gefallen lassen, welche Form von "Krisenintervention" das denn nun darstellen soll? Die Forderung nach Abschaffung der Bundeswehr ist angesichts der jüngsten Entwicklung und angesichts der geschichtlichen Erfahrungen keine rein pazifististische Forderung mehr. Eine Regierung, die sich dafür rüstet, an zwei Fronten gleichzeitig, und zwar in anderen Ländern, Krieg zu führen, und die dazu offen und ungestraft die Verfassung des Landes bricht, sollte von der Bevölkerung vorsichtshalber entwaffnet werden. Wer die Frage "Die Russen kommen zur Tür rein, vergewaltigen die Oma, schießen auf die Kinder, Sie haben zufällig ein Maschinengewehr in der Hand, was tun Sie?` unbedingt mit "Schießen!` beantworten möchte, kann sich zur Not ein Maschinengewehr unter's Bett legen. Falls die Russen kommen. Oder die Deutschen. Das ist immer noch vernünftiger, als diese Art von ,Spielzeug` in den Händen dieser Regierung zu belassen. Maike Varenkamp (Solidarität International, Lindenstr. 81, 26123 OL
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