Ausgabe 10/00 | Seite 16 | |||||
Auch wer klaut, macht andere reich
Wenn das Versenden von Textdokumenten zur politischen Handlung wird"Warum kauft Ihr Euch kein Word?", werden wir immer wieder gefragt, wenn wir darauf hinweisen, daß uns das Bearbeiten von Word-Dokumenten Probleme bereitet.
Produkte kaufen ist wie wählen gehen!Ein ehemaliger Setzer erzählte, er habe beschlossen, sich niemals wieder einen Computer zu kaufen, auf dem Microsoft-Windows vorinstalliert sei und zog einen Vergleich mit den Wahlen zum Bundestag. Gerhard Schröder sei an die Macht gekommen, weil die Mehrheit der Menschen ein Kreuz neben seiner Partei gemacht haben. Bill Gates und die anderen Führungskräfte des Software-Unternehmens seien sehr viel mächtiger als Gerhard Schröder. Sie hätten ihre Macht dadurch bekommen, daß viele Menschen seine Firma gewählt haben - zwar nicht mit einem Kreuz, sondern mit dem Kauf eines Microsoft-Produktes. Auch mit dem Kauf eines Computers, auf dem Windows vorinstalliert ist, steige die Verkaufszahl für Microsoft und damit die Macht von Gates. Selbst wenn Windows nach dem Kauf sofort gelöscht würde, könnte Microsoft ein verkauftes Produkt (und damit ein Kreuz) mehr für sich verbuchen. Was hier am Beispiel Software dargestellt ist, gilt gleichermaßen für alle Produkte und Firmen.
"Dann schenke ich Euch eben ein Word." -Standards sind die beste Werbung Allein das Weitergeben von Word-Dokumenten (oder die eines anderen Produktes) auf Diskette oder als E-Mail fördert den Gewinn der Hersteller-Firma, denn der Absender des Dokuments erzwingt vom Empfänger den Einsatz derselben Software desselben Herstellers. Selbst wenn sich der Empfänger eine Schwarzkopie des Programms holt, setzt er es ein. Die starke Verbreitung eines Produktes (sei sie auch illegal) sorgt dafür, daß viele Leute glauben, man brauche dieses Produkt, "weil alle es haben" und damit man untereinander Texte austauschen kann. Auf diese Weise wird ein Standard gesetzt, der - im Fall von Word-Dokumenten - die Verbreitung und damit die Macht von Microsoft stärkt. Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf. Auf dem PC-Markt gab es vor etwa zehn Jahren einen Konkurrenzkampf zwischen IBM und Apple. Der IBM-kompatible PC hat vor allem deswegen vor Apples MacIntosh im Heimbereich die Nase vorne, weil Apple recht erfolgreich "illegale" MacIntosh-Nachbauten verhindert hat - die Qualität der beiden Systeme spielte dabei eine untergeordnete Rolle.
"Windows oder nicht, das ist doch Glaubenssache!" -Es ist vielmehr eine Frage des Selbstverständnisses Vor dem Hintergrund, daß allein schon die Verwendung von Software-Produkten oder das Versenden von Spezialformaten, die Hersteller-Konzerne stützt, ist es umso verwunderlicher, daß insbesondere in linken, anti-imperialistischen Kreisen Software eines mächtigen Softwaremonopolisten eingesetzt wird. Leider sind auch wir in der Stachel-Redaktion noch beim Satz auf ein Produkt angewiesen, das auf ein Produkt eines Softwaregiganten aufsetzt, doch stellen wir den Rest unserer Redaktion derzeit auf freie Software um. Freie Software hat den Vorteil, daß sie nicht nur kostenlos kopiert werden darf, sondern unter die "General Public License" (GPL) gestellt ist. Diese Lizenz besagt, daß der Programmcode (das ist der exakte Ablaufplan des Programms) öffentlich ist, so daß jede Kleinigkeit der Funktionsweise nachvollziehbar ist. Außerdem darf das Programm verändert und danach veröffentlicht werden. Auf diese Weise lassen sich leichter Sicherheitslücken finden und ausbessern, ohne auf einen Softwarekonzern angewiesen zu sein. Programme, die einmal unter diese Lizenz gestellt und damit veröffentlicht wurden, dürfen der Öffentlichkeit nicht mehr entzogen werden1). muh Anm. Wer mehr über diese "General Public License" und die dahinterstehende Philosophie erfahren möchte, dem sei der Vortrag "Das GNU-Projekt - Hintergründe, Philosophie und Praxis" von Georg C. F. Greve, am Sa., dem 14.10., 11 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 im Großen Hörsaal der Uni Wechloy (W3-1-161) im Rahmen des LinuxTages empfohlen.
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