Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/00      Seite 12
 
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Die Täter blieben unbehelligt

Mit Datum vom 30. 8. 1940 ging der Oldenburgischen Landesheil- und Pflegeanstalt Wehnen ein Schreiben des Reichsinnenministeriums zu:

"Betrifft: Verlegung geisteskranker Juden. Der noch immer bestehende Zustand, daß Juden mit Deutschen in Heil- und Pflegeanstalten untergebracht sind, kann nicht weiter hingenommen werden, da er zu Beschwerden des Pflegepersonals und von Angehörigen der Kranken Anlaß gegeben hat. Ich beabsichtige daher, die in der nachbezeichneten Anstalt untergebrachten Juden am 26. oder 27. September 1940 in eine Sammelanstalt zu verlegen... Der Abtransport erfolgt an einem der genannten Tage aus der Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Zur Sicherung der Transporte sind die in Frage kommenden Geisteskranken zum 21. September 1940 aus ihren derzeitigen Unterbringungsanstalten in die Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf zu überstellen. (...) Nach den mir zugegangenen Berichten sollen sich in folgenden Anstalt(en) nachstehend aufgeführte Juden befinden..."

Es folgt eine Anlage mit dem Text "Landesheil- und Pflegeanstalten des Landes Oldenburg, 4 Juden, 1 Jüdin. Ich ersuche, die vorgenannte(n) Anstalte(en) mit Weisung im Sinne dieses Erlasses baldgefälligst zu versehen. Im Auftrag Dr. Cropp".1 Diesem Erlaß kamen die Landesregierungen in unterschiedlichen Zeiträumen nach, wovon die oldenburgische eine der pünktlichsten war.2 Als "Euthanasie"-Dienststellen am 23.5.1942 beim Oldenburger Staatsministerium nach "etwa noch vorhandenen jüdischen Geisteskranken" anfragten, konnte der stellvertretende Landesarzt Dr. Jacobs, versichern: "Jüdische Geisteskranke sind in den Anstalten des Landes Oldenburg nicht mehr untergebracht".3

Die Opfer

Auf der Suche nach Spuren der Verschleppten konnten aus den Aufnahmebüchern vier am 21.9.1940 als "entlassen" geführte Patienten ermittelt werden. Es sind die 40jährige Sidoni Hiffelsheimer, die 36jährige Rosa Katz, der 38jährige Konrad de Taube und der 61jährige Bruno Herzfeld.4

Ihre Krankenakten waren im Archiv des LKH Wehnen nicht mehr aufzufinden. Wie bei Verle

gungen üblich, sind sie offenbar mitgegeben worden. Von dieser Regel wurde lediglich bei der "Verlegung" der Sicherungsverwahrten in die Konzentrationslager abgewichen.

Hinzu kommt der 51jährige Kurt Steinhardt aus der Pflegeanstalt Blankenburg. Insgesamt wurden 15 Patienten nach Wunstorf transportiert, die entweder aus oldenburgisch-ostfriesischen Anstalten kamen oder in dieser Region gebürtig waren, wie der 39jährige Waldemar Altgenug aus Norden, der 57jährige Elkan Nordheim aus Emden, die 34jährige Resi Samson aus Aurich, der 39jährige Max Windmüller aus Weener und der schon genannte Konrad T., der aus Neustadtgödens stammte. Sechs der Abtransporten kamen aus dem Heim Lindenhaus Brake, und zwar der 28jährige Max Friedemann, der 49jährige Gustav Grundmann, der 64jährige Hermann Heinemann, die 45jährige Ilse Herz, die 65jährige Selma Kugelmann und der 50jährige Otto Plaut.

Sie wurden in einem Sammeltransport von insgesamt 153 jüdischen PatientInnen am 27.9.1940 von Wunstorf aus nach Brandenburg weiterbefördert, wo sie ohne Umschweife ermordet wurden, und zwar in der im alten Zuchthaus eingerichteten Gaskammer.5

Die Motive

Die Gaskammer waren keine Erfindung der Wannseekonferenz am 20. 1.1942, sondern der Euthanasie-Ärzte. Eingerichtet seit Anfang des Jahres 1940, sollten sie die aus den Anstalten des Reiches zusammengezogenen Patienten liquidieren, die als unheilbar, arbeitsunfähig oder Langzeit-Insassen galten. In diesem Fall galt jedoch ein anderes Kriterium, nämlich allein die Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben, was diesen Massenmord vom 27.9.1940 eher als Vorboten des Holocaust denn einen Fall von Euthanasie darstellt.

Hier betrieben Ärzte aus Gründen angeblicher "Sterbehilfe" ein Geschäft, das man eigentlich einer mordgewohnten ß zutraut. Doch die existierte so noch gar nicht. Noch hatten keine Sondereinsätze hinter den Fronten genügend brutalisierendes Potential aufgebaut, noch war die Zeit für die Verwandlung der Konzentrationslager in reine Tötungsmaschinen nicht gekommen, noch hatte kein jahrelanger Krieg die Menschen bis zur Abstumpfung gleichgültig gemacht. Und doch fand seit 1940 ein systematischer Massenmord statt. Es war ein klinischer Massenmord, erdacht und inszeniert von Ärzten, die dem eugenischen Weltbild huldigten. Für sie war die erbliche Reinhaltung der Rasse eine naturwissenschaftliche Notwendigkeit, die dem vermeintlichen biologischen Gesetz folgte, Erbfehler mit allen Mitteln auszurotten. Daß sie in Wahrheit einer rassistischen Idee folgten, entlarvt sich in der Bruchlosigkeit, mit der ihre angebliche Sterbehilfe in den antisemitischen Massenmord übergeht.

Die Täter

Nationalsozialistische Ärzte, erzogen im eugenischen Denken, träumten vom Ideal des "Erbarztes", der das Wohl des "Volkskörpers" über das des Individuums stellt. Ein typischer Vertreter seiner Art war Dr. Fritz Cropp, der Medizinalbeamte, von dem die Sammel- und Vernichtungsaktion ausgegangen war. Seine Karriere hatte in Oldenburg begonnen. Hier war er 1887 auch geboren und aufgewachsen. Im Jahr 1920 wurde er "Stadtarzt", also Leiter des Gesundheitsamtes, in Delmenhorst,. 1931 trat er in die NSDAP und SA ein, Anfang 1934 avancierte er im Oldenburgischen Staatsministerium zum höchsten Medizinalbeamten ("Landesarzt") und organisierte die Zwangssterilisationen nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses6. Sein besonderes Engagement wird in einer Meldung an das Reichsinnenministerium deutlich: "Sämtliche Mitglieder der oldenburgischen Ärztekammer sind außerdem vom Landesarzt persönlich zur regen Mitarbeit an den Zielen des Gesetzes ermahnt worden".7 Parallel dazu baut er die "bevölkerungspolitische Propaganda" auf, läßt Vorträge über "rassenmäßge Geschichtsbetrachtung" halten,8 und installiert ein Netzwerk, das sich mit der "erbbiologischen Kartei" im Gesundheitsamt ein Instrument zur erb-rassischen Ausforschung aller oldenburgischen Familien schafft.

Seine Aktivitäten bleiben in Berlin nicht unbekannt, und so wird Cropp 1934 in die Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriums berufen. Von dort greift er weiter in die heimatliche Gesundheitspolitik ein und sorgt z.B. dafür, daß die mit der Durchführung der Erbgesetze betrauten Kollegen hier eine eigene Sezierabteilung erhalten9. Seinen fanatischen Antisemitismus beweist er 1937, als er die Teilnahme des jüdischen Physiologen Prof. Freund aus Münster an einem medizinischen Kongreß verhindert, "damit im Ausland bei der internationalen Bedeutung Freunds kein Aufsehen erregt wird"10

In der SA bringt es Cropp 1937 zum Standartenführer. 1940 wird er Leiter der Gesundheitsabteilung im Reichsinnenministerium. Hier obliegt ihm ab 1939 ein Teil des NS-Euthanasieprogramms, besonders die Erfassung und Aussonderung der Opfer. Sein direkt damit betrauter Untergebener heißt Herbert Linden, den er zum führenden Bürokraten der Todesmaschinerie macht. Cropp greift jedoch auch persönlich in die Umsetzung der "Euthanasie" ein, z.B. bei der "Säuberung" der Psychiatrien von jüdischen Patienten im Jahr 1940. Später weitet er seine Übergriffe im Rahmen der "Aktion Brandt" auf Altenheime und Krankenhäuser aus und läßt die hilflosen Opfer in die Todeskliniken verschleppen.

Wie die meisten "Erbärzte" bleibt Cropp nach dem Krieg ungeschoren, im Gegenteil, die evangelische Kirche ehrt ihn mit einer Aufgabe als "Vertreter des Centralausschusses der Inneren Mission" in Bethel. Cropp stirbt 1984 als angesehener Mitbürger in Oldenburg. Weder für seine medizinischen Gewaltmaßnahmen, mit denen er Tausende um ihre Fortpflanzungsfähigkeit brachte, noch für den Mord an zahllosen Kranken, noch für die Ermordung der jüdischen Patienten wurde er je zur Verantwortung gezogen.

1 Reichsinnenministerium am 30.8.1940, Staatsachiv Oldenburg (StAO) 136/16138, Bl. 37.

2 H. Friedlander, 1989, S. 39.

3 StAO 136/16138, Bl. 64.

4 Archiv des Landeskrankenhauses Wehnen, Aufnahmebuch Männer III.

5 W. Meiners, "Euthanasie", unveröff.Manuskript, 1995, Priv.Archiv Harms. Auch A. Finzen und H. Friedlander stellen fest, daß dieser Transport zur Vernichtung nach Brandenburg ging. Wie aus den Papieren der Gestapo hervorgeht, die den Transport veranlaßt hatte, wurde als Zielort die Anstalt Cholm im "Generalgouvernement" angegeben. Diese existierte aber zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr und diente nur als Deckadresse für die tatsächliche Vernichtung in Brandenburg (H. Friedlander, 1989, S. 40 f).

6 StAO 136, 16179:5.

7 StAO 136, 16179, Bl. 7, S. 3.

8 StAO 136, 5367.

9 4. u. 9.4.1934, StAO 136, 20669, Bl. 5.

10 Cropp am 24.11.1937, Bundesarchiv, R.E.M.2834/3.

I.H.


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