Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/00      Seite 15
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Kampftag 1. Mai ?

Leider waren im Vergleich zum Vorjahr nochmal weniger traditionell orientierte Kollegen und Kolleginnen auf Demonstration und Kundgebung. Dafür war der Internationale Demonstrationszug in diesem Jahr deutlich größer. Während dieser zur Kundgebung beim Alhambra zog, gab es eine Kundgebung beim Rathaus. Damit es nicht aufregend wird, hatte der DGB bereits im Vorfeld "darauf verzichtet", das "Bündnis streichen bei den Reichen" zur Vorbereitung einzuladen.

Dennoch redete die Vertreterin der IG Metall-Bezirksleitung Helga Schwitzer vom "Monopoly" der "Global Player" und "Megafusionen", deren Ansprache hier in Auszügen wiedergegeben wird. Nach ihrer Auffassung entstehen gesellschaftliche Probleme nicht durch die Globalisierung - die es mit geringerem Tempo schon lange gibt -, sondern durch den "Börsen-Kapitalismus".

"Konzentration von unglaublich viel Geld in sehr wenigen Händen. Geld, das in Sekunden investiert oder abgezogen werden kann. Anonymes Kapital sucht seine Rendite weltweit. Produktion und nationale Ökonomie wird mehr und mehr zum Spielball von Finanzinteressen. Anonymes Kapital, ohne Gewissen, ohne Verantwortung, nur mit einem Ziel: Geld und Profit."

Alles Glück der Erde für die Aktionäre?

Eine deutliche Absage erteilte sie dem Gedanken, Arbeitnehmer zu Aktionären zu machen - womit selbst der Vorsitzende der IG-Metall liebäugelt. "Auch er stellt sich den Arbeitnehmer der Zukunft offensichtlich als agilen Finanz-Yuppie vor, der lieber in die Börsenberichte des Wirtschaftsteiles als in die Gewerkschaftszeitung schaut."

Wer ist konservativ?

Helga Schwitzer befürchtet, daß die "schöne neue Wirtschaftswelt die häßlichen Probleme der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht lösen wird. Sie wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vermutlich nicht einmal das Ausmaß an sozialer Sicherheit bieten, das der alte Sozialstaat garantierte (was wenig genug war, d.Verf.). Jener Sozialstaat, den zu verteidigen heute auch unter >neuen Sozialdemokraten< als konservativ gilt." Doch "der Aktonärs-Kapitalismus verteilt seine Reichtümer nicht gerechter als derjenige, dem wir in Jahrzehnten den Sozialstaat abgekämpft haben. ... Die Gewerkschaften sind nicht als Lobby derjenigen entstanden, die ihr überschüssiges Vermögen in Aktien investieren können; sie haben sich als Selbsthilfeorganisationen und Interessenvertretung derjenigen gegründet, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben."

Rosa-giftgrünliche Card?

"Statt auf die Börsenmeldungen aus Frankfurt sollte gerade eine rot-grüne Bundesregierung öfter auf die Arbeitsmarktzahlen aus Nürnberg schauen. ... Was macht der Bundeskanzler" angesichts der ungünstigen Entwicklung dort? "Statt sich um die Arbeitsmarktintegration dieser Menschen zu bemühen, schielt er auf Schlagzeilen und tritt mal soeben eine >Green-Card-Debatte< los.

Um nicht mißverstanden zu werden, ich bin keineswegs für eine Abschottung Deutschlands. Politisch Verfolgte und vom Hungertod bedrohte Menschen müssen eine faire Chance zur Aufnahme haben, wenn sie dies wollen. Für ein Recht auf Asyl, für Einwanderungsgesetze. Prinzipiell darf auch qualifizierten jungen Menschen, die sich in Deutschland engagieren und Berufserfahrung sammeln wollen, der Weg nicht versperrt werden. Gleichgültig, ob sie bleiben oder in ihre Heimat zurückkehren wollen oder ob sie alleine oder mit ihren Familien kommen.

Schrödi, der Bückling

Aber was Gerhard Schröder da betreibt, ist keine humane Einwanderungspolitik, sondern ein Bückling vor der Wirtschaft und ein Mediencoup, der mehr der persönlichen Profilierung als der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen soll.

Dabei haben Wirtschaft und Politik den Fachkräftemangel, den sie heute bejammern, selbst herbeigeführt. Da wurde in den Betrieben jahrelang versäumt, in die Ausbildung zu investieren. Da haben sich vor allem die großen Konzerne ihrer Verantwortung entzogen und auf staatliche Zuschüsse geschielt. Da wehrt sich der Bundeskanzler gegen eine Ausbildungsplatzabgabe für Betriebe, die nicht ausbilden.

Jetzt sollen mit einer Green-Card die Lücken dieser Politik gestopft werden? Ohne eindeutige Verpflichtung der IT-Branche zur Aus- und Weiterbildung darf es keine GreenCard für ausländische Fachleute geben. Alles andere wäre geradezu zynisch gegenüber denjenigen, die arbeitslos sind und denen gerade in den IT-Branchen schon mit 40 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt wird! Ich halte das auch für eine völlig inakzeptable Form des Umgangs mit unseren ausländischen Mitmenschen. ... Hier wird zum Marsch nach Rechts geblasen. ... Ausgerechnet der Minister, der in der Regierung Kohl für den Bildungsbereich verantwortlich war, versucht mit Populismus auf Kosten der Ausländer auf Stimmenfang zu gehen. ...

Dem Haß keine Chance!

Aber Übergriffe gegen ausländische Mitmenschen sind leider alltägliche Praxis. Da werden Ausländer gejagt, Wohnheime gehen plötzlich in Flammen auf, über das Internet werden Haß-Parolen verbreitet, Neonazi-Treffs und rechtsradikale Demonstrationen mehren sich, sogar an diesem 1. Mai. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die sich mit anderen fortschrittlichen Kräften gegen die braune Brut stellen, werden verfolgt, wie z.B. unser IG Metall-Kollege Uwe Zabel aus Elmshorn. (U.a. bekam Uwe Zabel Morddrohungen. D.Verf.) Da hilft nur eins: Den gemeinsamen Protest verstärken. Wir überlassen den Neonazis nicht unsere Straßen und Plätze, wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lasen unser Rückgrat nicht brechen. Unsere Stärke, unser gemeinsames Handeln ist die Niederlage der Ewiggestrigen."

Für Vermögensteuer und aktive Beschäftigungspolitik

Helga Schwitzer äußerte deutliche Kritik an der Bundesregierung und forderte die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie ein Ende der Umverteilung von Unten nach Oben, zu einem Ende der verschämten Armut und des unverschämten Reichtums. "Und sage mir keiner, dies sei nicht zu finanzieren. Wer sich jährlich Kosten in Höhe von 170 Milliarden zur passiven Verwaltung von Arbeitslosigkeit leistet, der ist allemal reich genug, einen Anteil von 30 Milliarden in aktive Beschäftigungsförderung umzuschichten."

Nie wieder Bomben auf Jugoslawien und auch nicht anderswo

Zur Außenpolitik: "Vielen von uns steckt der Nato-Krieg gegen Rest-Jugoslawien noch in den Knochen. Dieser Krieg war völkerrechtswidrig und gemessen an seinen eigenen Zielen erfolglos. Jedenfalls dann, wenn sein Ziel wirklich das friedliche Zusammenleben der Menschen in der Balkanregion gewesen wäre. Von Frieden ist keine Spur, die gegenseitigen Terroranschläge und Menschenrechtsverletzungen gehen weiter. Anders sieht es freilich aus, wenn man diesen Krieg an den Maßstäben der neuen NATO-Strategie bemißt, bei denen Friedensicherung und Menschenrechte keineswegs im Vordergrund stehen. ... Die Gewerkschaften sollten sich nicht noch einmal in >realpolitische Zwänge< einbinden und sich nicht erneut in eine innere Zerreißprobe treiben lassen. Sie sollten einheitlicher und entschiedener als im Kosovo-Krieg ihre konsequente Ablehnung gegenüber dem Krieg als Mittel der politischen Konfliktbewältigung zum Ausdruck bringen. Sie sollten unüberhörbar ihre Stimme in Richtung Russland erheben und rufen: >Herr Putin, stoppen Sie diesen mörderischen Krieg! Und zwar sofort!< Dies ist die einzige Antwort auf dieses Verbrechen, die mit der gewerkschaftlichen Tradition vereinbar ist. ...

Ein grundsätzlicher Widerspruch: Emanzipation beim Militär

Es hat aus meiner Sicht überhaupt nichts mit modern und Emanzipation zu tun, wenn Gerichte unter dem Mantel der Gleichberechtigung Frauen den Dienst an der Waffe andienen wollen. Hier soll unser jahrzehntelanger Kampf für mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau eindeutig mißbraucht werden. Kann die Lizenz zum Töten Maßstab zur gleichberechtigten Beteiligung am politischen, gesellschaftspolitischen und beruflichen Leben sein? Was steckt dahinter, wenn Männer (wie die Herren vom Bundeswehrverband, die die Klage unterstützt und finanziert haben), plötzlich bei der Beschäftigung von Frauen in der Bundeswehr schwach werden? ... Und alles, was recht oder besser rechts ist: Die Bundeswehr ist nicht gerade ein Hort der Emanzipation, sondern ein streng hierarchisches System, das nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsamkeit, Machtausübung und Unterwerfung funktioniert. Deshalb laßt uns deutlich Nein sagen zu einer Änderung des Grundgesetzes. ..."

Zusammengefassung und Zwischenüberschriften von Gerold Korbus

Die vollständige lesenswerte Rede gibt es (hoffentlich) beim DGB, bei der Arbeitslosenselbsthilfe ALSO und beim Verfasser (Tel. 04407,424).

 

 
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