Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/00      Seite 1
 
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Innenministerium kippt

Unterschriftenliste bringt Ministerium zur Einsicht

Überraschend hat das Innenministerium seine Entscheidung revidiert und ein nachträglich als "internes Papier" klassifiziertes Dokument wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Es fing ganz harmlos an. Die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBSt) hat im März eine Studie herausgegeben, in der sie der Bundesverwaltung zum Einsatz von Freier Sofware geraten hat. Unterstellt ist die KBSt direkt dem Innenministerium. Nachdem die Studie gut eine Woche im Internet veröffentlicht war, verschwand sie kommentarlos. Offenbar war sie zu brisant, schlug sie doch vor, keine kommerzielle proprietäre Software einzusetzen. Würde es umgesetzt werden, könnten Regierung und Verwaltung in erheblichem Maße Gelder einsparen, was dem Finanzhaushalt sicherlich guttun würde.

Offener Brief

In einem offenen Brief appellierte daraufhin der LinuxTag e.V., Veranstalter der größten europäischen Messe rund um Linux (29.6. - 2.7., Messe-Zentrum Stuttgart) an die Behörde, den Text wieder öffentlich zugänglich zu machen. Mit der Entscheidung, die Studie nachträglich als "internes Papier" zu klassifizieren, verstoße das Ministerium gegen die selbst geforderte Transparenz des staatlichen Handelns gegenüber dem Steuerzahler und verwehre den Bürgern Einsicht in die Arbeit des Organs, so Michael Croon.

Der LinuxTag e.V. setzt sich für die Gleichberechtigung von Freier Software zum Einsatz in der Bundesverwaltung ein. Sie müsse bei der Evaluierung dieselben Chancen erhalten wie proprietäre Software von kommerziellen Herstellern. Weiter fordert der Verein das Ministerium auf, "den wirtschaftlichen Interessen mächtiger Konzerne nicht mehr Gehör zu verleihen als den Steuerzahlern."

Der Staatssekretärsausschuß zur Steuerung des Programms der Bundesregierung "Moderner Staat - moderne Verwaltung", dessen Vorsitz die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium des Inneren, Frau Zypries, innehat, bekundet:

"Die Bürger haben einen Anspruch darauf, daß mit ihren Steuern effizient und wirksam umgegangen wird. Staatliche Verwaltung muß daher leistungsstärker und kostengünstiger werden."

Die Entscheidung des Ministeriums, die Studie zu entfernen widerspricht dem Gebot der Transparenz, welche die Verwendung öffentlicher Gelder begleiten sollte. Er wirkt dem Streben nach einer effizienten Verwaltung entgegen, von der das Ministerium sagt:

"Die Modernisierung der Verwaltung wird mit Leben gefüllt, wenn alle Mitarbeiter sie als eigenes Anliegen begreifen und motiviert mitmachen. Die Bundesregierung beteiligt darum die Verwaltung aktiv am Modernisierungsprozeß und gibt den Mitarbeitern neue Gestaltungsspielräume."

Das öffentliche Interesse an frei zugänglichen Informationen der Ministerien ist überwältigend. Der offene Brief ist erst 24 Stunden online und wurde bereits über 8.000 mal abgerufen. Damit wurden selbst die kühnsten Erwartung des LinuxTag-Teams bei weitem übertroffen. Allein 2.400 Unterschriften wurden in nur einem einzigen Tag geleistet.

Nach nur fünf Tagen stellte sich der Erfolg ein: am 31. März kündigte KBSt-Leiter Landvogt an, den Brief wieder ins Internet zu stellen. Um einer eventuellen Vertragsverletzung aus dem Weg zu gehen, werden lediglich einige Zahlen über Lizenzgebühren aus der Studie entfernt.

Hintergründe

Bevor das Ministerium den Brief zurückgezogen hat, wurde er von mehreren Online-Diensten (Heise-Newsticker, LinuxTag-News, Pro-Linux) auf die Studie aufmerksam gemacht. Sie besonders deshalb interessant, da sie erstmalig eine Untersuchung einer der Regierung unterstellten Behörde zeigt, die den Einsatz Freier Software berücksichtigt. Auf Nachfragen von verschiedenen Seiten bezog das Ministerium öffentlich Stellung und gab bekannt, daß es sich bei der Studie lediglich um ein "internes Papier" handle, das "nicht für die Öffentlichkeit" bestimmt sei.

Interessant sind in diesem Zusammenhang mehrere Fakten:

· Zum einen wurde das Dokument nicht einfach aus dem Web-Angebot der KBSt entfernt, sondern das gesamte Web-Angebot wurde entfernt und einen Tag später wieder restauriert.

· Alle anderen bisher veröffentlichten KBSt-Briefe sind bis heute nicht als interne Dokumente eingestuft und stelhen weiterhin zur Verfügung.

· Interne Verweise auf das Dokument wurden nicht gelöscht, sondern waren einige Zeit später noch verfügbar.

· Die Stellungnahme gab die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries erst auf Nachfragen ab.

Infolgedessen kursierten Gerüchte, ob die Software-Schmiede Microsoft interveniert und das Ministerium unter Druck gesetzt hat. Der Verdacht liegt nahe, denn die Bundesregierung hat vor Jahren große Verträge mit dem Software-Riesen abgeschlossen und es bestehen gute Kontakte seitens des Innenministeriums. Es stellt sich die Frage, wie groß der Einfluß der (ausländischen) Wirtschaft auf die Bundesregierung ist? Wie unabhängig sind Regierung und Wirtschaft tatsächlich?

Die Studie

Die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBSt) hat der Bundesregierung in ihrem Brief Nr. 2/2000 dazu geraten, in der Verwaltung Open Source Software einzusetzen.

KBSt-Briefe sind Veröffentlichungen der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung im Bundesministerium des Innern. Sie dienen dazu, für die IT-Planung der Bundesbehörden Orientierungen über Entwicklungen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie zu geben.

"Viele Behörden stehen derzeit vor der Aufgabe der Ablösung von alten Systemen", schreibt die KBSt. In den öffentlichen Verwaltungen werden Arbeitsplatzrechner in großem Umfang eingesetzt. Leistungsfähigere Systeme dienen als Server. Der Brief geht zudem auf die zunehmende Bedeutung von Freier Software in der Industrie ein.

In Behörden werde Freie Software seit längerem im Serverbereich eingesetzt. Die Zuverlässigkeit gibt den Autoren Anlaß dazu, diese Philosophie weiter zuverfolgen. Die Offenheit der Quellen Freier Software und die Möglichkeit, Programmcode zu untersuchen und zu kontrollieren, sei eine wichtige Voraussetzung für die Verwendung in sicherheitskritischen Bereichen, z.B. bei der Verarbeitung von Verschlußsachen.

Dort stehe der Aspekt der Vertraulichkeit im Vordergrund. Hier bieten Freie Betriebssysteme durch ihre besonderen Möglichkeiten der Konfigurierung wichtige Voraussetzungen. Aufbauend auf diesen wurden im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bereits Projekte begonnen, deren Ziel die Entwicklung eines gesicherten PC und dessen sichere An- und Einbindung an Netzwerke ist.

Mit der Entwicklung von komfortablen grafischen Oberflächen wie KDE und Gnome, stehen freie Betriebssysteme nun auch im Desktop-Bereich den kommerziellen Systemen nicht mehr nach. Für den Büro-Alltag benötigte Anwendungs-Software, die auf solch einer grafischen Oberfläche aufsetzt, werde von verschiedenen Herstellern zur Verfügung gestellt. Darunter befinden sich mit AbiWord, LyX und kOffice Vertreter aus dem Bereich Freier Software und mit StarOffice, Applixware und WordPerfect kommerzielle Office-Pakete.

Da immer mehr Anbieter kommerzieller Software auch auf Linux als Plattform setzen und ihre Produkte ebenfalls für das Freie Betriebssysteme herstellen, sind mögliche Einsatzgebiete breit gefächert. Schon heute ist es möglich, den Büroalltag komplett mit Freien Betriebssystemen zu beschreiten.

Die KBSt fordert den Einsatz von Linux auch auf Workstation, also den PCs der Angestellten. Die momentane Situation könne zudem aufgrund ihres proprietären Charakters nicht mehr weitererhalten werden: "Zum Einsatz der jeweils aktuellen Softwarepakete ist meist neue Hardware erforderlich, da die vorhandene Hardware den Leistungsanforderungen der neuen Software nicht gerecht wird. Die aus dieser Abhängigkeit herrührenden Nachteile sind vielfältig. Die Produkte sind oft teuer und von häufigem Release-Wechsel gekennzeichnet. Schriftstücke werden meist in proprietärem Format gespeichert, Schriftstücke neuerer Versionen können von älteren Programmversionen nicht befriedigend verarbeitet werden."

Als weiteres Manko der vorhandenen (Microsoft-)Systeme und der kommerziellen Office-Pakete wird darüber hinaus angeführt, daß der Programmcode nicht eingesehen werden könne. Während der 57. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hätten diese deshalb den Anwendern empfohlen, "nur solche Produkte einzusetzen, welche auch eine Transparenz der Verfahrensabläufe gewährleisten."

In letzter Zeit hat sowohl die französische Regierung als auch die EU-Kommission die Nichtverfügbarkeit des Source Codes kommerzieller Produkte kritisiert und für den Einsatz offener Quellen plädiert.

Als Fazit zieht die KBSt: "Mit Linux oder FreeBSD als Betriebssystem und ergänzender Open Source Software und kommerzieller Software auf OSS-Betriebssystemen steht ein stabiles, preiswertes, ressourcenschonendes, sichereres und von ausreichend vielen Beratungsfirmen unterstütztes Rechnersystem auch für die professionelle Büroumgebung zur Verfügung. Dies gilt sowohl für den Client- als auch für den Serverbereich. Insbesondere durch die große Resonanz im Umfeld der IT-Industrie bietet Linux heutzutage einen guten Investitionsschutz."

Martin Schulze

Quelle: www.linuxtag.de


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