Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/00      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Folgen des Irakembargos

Im Irak leben ca. 21 Millionen Menschen. Ihre Lebenserwartung sank zwischen 1993 und 1996 von 66.1 Jahren auf 58.5 Jahre. Nur fünf Prozent der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. 1970 waren es 53 Prozent. Iraks 15 Millionen Palmen produzierten schätzungsweise 80 Prozent aller Datteln auf der Welt. Es wird geschätzt, daß die Hälfte der Palmen im Golfkrieg zerstört worden ist. Der Export von Datteln ist unter dem Embargo verboten. 75 Prozent der Iraker leben in Städten. Die größte Stadt ist Bagdad mit 4,478 Millionen Einwohnern.

In den 70er und 80er Jahren fand eine intensive sozioökonomische Entwicklung des Landes statt, die ihre Basis hauptsächlich im Ölexport hatte. 1979 wurde Saddam Hussein Staatspräsident. 1980 griff der Irak über die Wasserstraße des Schatt-El-Arab den Iran an. Bis 1988 dauerte dieser Krieg, in dem der Irak sowohl von den USA als auch von der UdßR unterstützt wurde. 1988 ermordete das irakische Militär mit einer Giftgasattacke ca. 5000 Menschen in der kurdischen Stadt Halabja. Konflikte zwischen Irak und Kuwait um Staatsgrenzen und Zugang zu Ölfeldern steigerten sich 1990 zum Golfkrieg, in dem eine Allianz von 33 Ländern innerhalb von 6 Wochen wesentliche Bestandteile der irakischen Infrastruktur zerstörte. Ca. 250000 Tote waren zu beklagen. Nachfolgende Schiiten- und Kurdenaufstände führten zur Einrichtung eines kurdischen "sicheren Hafens" unter UN-Schutz und zu Flugverbotszonen im Süden und Norden des Landes. Den Auseinandersetzungen um die militärische Kontrolle des Iraks zwischen der Regierung in Bagdad und den USA sowie Großbritannien folgten regelmäßigen Bombardierungen "militärischer" Ziele in Nord-, Mittel- und Südirak. Sie dauern bis heute an.

Handelsembargo und Öl-für-Nahrung-Programm

Die UN-Sanktionen führten sowohl zum Einfrieren aller irakischen Konten im Ausland als auch zur Unterbindung des gesamten Handels (Aus- und Einfuhren). Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß Irak vor dem Golfkrieg zwei Drittel seines Nahrungsmittelbedarfs sowie einen erheblichen Teil seines technischen und medizinischen Bedarfs durch Importe abdeckte. Das Sanktionenkomitee der Vereinten Nationen in New York hat das Recht, Widerspruch gegen alle Güter einzulegen, die nach Irak eingeführt werden sollen. Das Verbot betrifft alle Gegenstände, die potentiell zur Herstellung chemischer, biologischer und atomarer Waffen benutzt werden können, und schließt z. B. Spritzen, Computerausrüstungen, Graphit für Bleistifte, Chlorin für die Trinkwasserbehandlung, Bestandteile von Röntgenapparaten, Unkrautvernichtungsmittel, Isotope zur Krebserkennung und -behandlung sowie viele Medikamente mit ein. Seit 1990 ist eine umfaßende Liste von verbotenen Importprodukten erstellt worden, die alles umfaßt, was als "unwesentlich" eingestuft wird. Unter den Tausenden "unwesentlicher" Artikel befinden sich z.B. Krankenfahrzeuge, Backpulver, Bücher, Zeitschriften, Briefumschläge und Papier, Stoffe, Särge, Hörgeräte, Glühbirnen, Kassetten, CDs und Videokassetten, Farben, Haarshampoo, Schuhe und Schuhcreme, Zündkerzen, Spielzeug, Waschmaschinen, Uhren und Schubkarren. Im Mai 1996 unterzeichneten die Vereinten Nationen und Irak, dem UNO- Sicherheitsratsbeschluß Nr. 986 folgend, ein Verständigungsabkommen, das eine kurz- bis mittelfristige Maßnahme zur Sicherung des Grundbedarfs der irakischen Bevölkerung darstellen sollte. Im Austausch gegen Öl, von dem Irak halbjährlich bis zu einem Wert von 2 Milliarden $ (seit 1999: 2,5 Milliarden $) exportieren darf, sollen Nahrungsmittel und andere notwendige Güter nach entsprechender Begutachtung und Erlaubnis durch das Sanktionenkommittee importiert werden dürfen. Erste Ölförderungen begannen im Dezember 1996, und erste Nahrungsmittelverschiffungen trafen im März 1997 in Irak ein. Inzwischen befindet sich das Öl-für-Nahrungs-Programm in Phase 7. Das Programm wird jedoch durch die Schwierigkeiten Iraks, hinreichend Öl zu fördern, und Verzögerungen und Verluste bei der Vertragsabwicklung behindert. Es fehlen wichtige Ersatzteile für die Ölförderung, und die Förderanlagen und Ölleitungen werden weiterhin von den USA und Großbritannien bombardiert. In Teilbereichen sind abgeschlossene Verträge aus der dritten Phase noch nicht erfüllt.

Die Einkommen aus den Ölverkäufen in Höhe von zwei Milliarden $, die alle 180 Tage erzielt werden, müssen zu dreißig Prozent für Kriegsreparationskoste n ausgegeben werden. 260 Millionen Dollar fließen in die autonomen Kurdengebiete des Nordiraks. Dreizehn Prozent gehen für die UNO- Betriebskosten drauf, 44 Millionen $ für Bankzinsen, 20 Millionen $ erhält der Zentral- und Südirak. 1,06 Milliarden $, 53 Prozent, bleiben übrig. Fast siebzig Prozent davon werden für Nahrungs- und Reinigungsmittel, ca. siebzehn Prozent für Gesundheitsversorgung und Medikamente, ca. sieben Prozent für Landwirtschaft und Wasser- / Abwasserversorgung ausgegeben. 6.6 Prozent bleiben für die Erziehung. Gemessen an den jeweiligen Bevölkerungszahlen erthalten die autonomen kurdischen Provinzen im Nordirak pro Person ca. 87 Dollar als humanitäre Hilfe, während Zentral- und Südirak nur 60 $ bekommen. In Zentral- und Südirak ist die irakische Regierung für die Beschaffung und Verteilung der Hilfsmittel verantwortlich, in Nordirak die UNO. Die UNO überwacht auch die Verteilung der hilfsmittel in ganz Irak und hat festgestellt, daß das Versorgungsprogramm durch die irakische Regierung vorbildlich und effektiv ausgeführt wird.

Schreckenszahlen

Das Bruttosozialprodukt des Irak sank pro Einwohner von 1990 bis 1993 von 3508 $ auf 761 $. Der Wasserverbrauch pro Kopf in Zentral- und Südirak halbierte sich zwischen 1989 und 1997. In der Zeit stieg der Prozentsatz verunreinigter Wasserproben von fünf auf 35 Prozent. In der Hitze Arabiens kann verseuchtes Wasser zu tödlichen Krankheiten führen. Regelmäßige ausreichende Wasserversorgung und -reinigung ist aufgrund von Strommangel und zerstörter Wasserwerke nicht möglich. Die Elektrizitätsversorgung verschlechterte sich zwischen 1989 und 1996 von 10000 auf 4000 Spitzenleistung Megawatt. Die landesinterne Getreideproduktion sank 1990 bis 1995 von 3.4 auf 2.5 Mio.t. Die Viehhaltung des Landes verringerte sich in diesen Jahren von 11.5 auf 6.3 Kühe, Schafe, Ziegen, Büffel... Der Prozentsatz mittel- bis schwer untergewichtiger Säuglinge stieg bis 1996 von 4.5 auf 23.4 Prozent. 1990 starben 31,7 von 1000 lebendgeborenen Säuglingen, 1994 waren es schon 111,7 von 1000. Die Sterberate der Kinder bis fünf Jahren steigerte sich in der Zeit von 52 auf 140 von 1000. Ihre chronische Unterernährung nahm von 1991 bis 1995 von achtzehn auf 31 Prozent zu (31 von 100!). Die Wahrscheinlichkeit für diese Kinder, an Durchfall zu sterben, entwickelte sich bis 1996 auf die Rate von eins zu sechzig. Für Lungenentzündung beläuft sich die Rate auf eins zu acht. Der Prozentsatz schwangerer Frauen mit Blutarmut betrug 1996 sechzig Prozent. Der Prozentsatz aller Analphabeten steigerte sich von 1987 bis 1993 von 27 auf 40 Prozent. Mindestens 80% des Einkommens der irakischen Familien werden für Nahrungsmittel verwendet.

Das alles geschieht im Namen der UN, die für die Sicherung der humanitären Bedingungen im Irak zuständig ist. Die Bevölkerung leidet, hungert, stirbt, während Diktator Hussein und seine Clique unangefochten an der Macht sind. USA und Großbritannien blockieren im Sicherheitsrat der UN jedoch jegliche Lockerung der Sanktionspolitik.

Die Beispiele Irak und Serbien zeigen, daß nicht jede Art von Boykott und Sanktionen die richtige Alternative zur militärischen Bekämpfung von Aggressionen und Völkermord sind. Es wird Zeit, daß die Friedensbewegungen eine gut überlegte Sanktionspolitik in die Diskussion bringen, die zum Ziel hat, die Opposition in Serbien und im Irak zu stärken und vor einem Aushungern zu bewahren.

achim

(Text und Daten entsprechen zum größten Teil den Informationen, die Dr. Josi Salem-Pickartz vom Al-Kutba Institute for Human Development in Amman/Jordanien bei ihrem Besuch in Oldenburg zur Verfügung stellte. Dr. Salem-Pickartz referierte am 10. Januar im PFL während der Veranstaltung des AK Asyls zum Thema "Folgen des Golf-Krieges und des Embargos im Irak für Frauen und Kinder". Der AK Asyl stellte dem Stachel freundlicherweise die dem Referat zugrundeliegenden Daten und Fakten zur Verfügung.)

 

 
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