Ausgabe 12/98 | Seite 1 | |||||
"Rechtsprechung als Lotteriespiel
Im Asylverfahren sollen möglichst wenige gewinnen"
Am 30.11.1998 fand eine Veranstaltung des AK Asyl Oldenburg mit dem Titel "Im Namen des Volkes... Deutsche Justiz in Asylverfahren" statt. Referent war der Aachener Anwalt Rainer Hofman, einer der fünf Rechtsanwälte, die die Verfassungsklage gegen das geänderte Asylrecht von 1993 vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten haben. Die Problematik in den Asylverfahren liegt in den immer schlimmer und auch abenteuerlicher werdenden Begründungen der Ablehnung von Asylanträgen durch BeamtInnen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Erschreckend ist es, daß die Verwaltungsgerichte als unabhängige Institutionen, die meisten Entscheide mit den gleichen oder noch gesteigerten Begründungen bestätigen. Sie machen sich kaum noch die Arbeit, unabhängig vom Bescheid des Bundesamtes, die Wahrheit zu ergründen. So werden Übersetzungsfehler nicht wahrgenommen, übergangen, oder, falls es nach Auffassung der RichterInnen Widersprüche in dem ersten Interview mit dem Flüchtling gab, so wird im späteren Verfahren eine Beweisaufnahme zur Klärung dieser Widersprüche in der Regel abgelehnt. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen "Schweinereien", die ablaufen und die in den letzten Jahren immer schlimmer geworden sind. Rainer Hofmann, der sich als "Mitbegründer des Vereins für klaren Sprache" vorstellte und versprach, Namen von Verantwortlichen zu nennen, stellte in acht Thesen die Ursachen für die Negativentwicklung in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte dar. Jede These belegte er dabei durch mehrere Beispielurteile, die bei den ZuhörerInnen Empörung bzw. aufgrund der Lächerlichkeit der Argumentationen der jeweiligen RichterInnen trotz des ernsthaften Themas auch Gelächter hervorriefen. Zum einen ist da die "Psychologie des Dauerfeuers". Nachdem seit über 15 Jahren durch Gesetzesänderungen gegen Flüchtlinge vorgegangen wird und Menschen sich immer feindseliger gegenüber Flüchtlingen zeigen, ist klar, daß dies auch Auswirkung auf die RichterInnen hat, die sich dem allgemeinen Trend in der Gesellschaft anschließen. Daraus resultiert auch der zweite Grund: "Die mangelnde Kontrolle" der Gerichtsurteile. Denn, wenn sich niemand für Flüchtlinge interessiert, brauchen RichterInnen keine Angst vor vor Skandalurteilen zu haben; einen Aufschrei wird es in dieser Gesellschaft nicht geben. "Unterschiede in Kultur und Sprache" ist die Ursache dafür, so Hofmann, daß insbesondere afrikanische Flüchtlinge kaum eine Chance in Asylverfahren haben. Durch das Jonglieren mit juristischen Definitionen von Begriffen (nach deutschem Rechtsverständnis) sei es immer möglich, in Äußerungen von Personen, die mit diesem deutschen Rechtsdenken keine Erfahrungen haben, vermeintliche Widersprüche aufzutun. Als vierte Ursache nannte Hofmann das "fehlende Konzept für faire Gerichtsverfahren". Selbst dem Verfassungsgericht mangele es an einem solchen Konzept. Bei Verfassungsbeschwerden werde nie geprüft, ob das Verfahren zuvor fair gewesen sei, warum beispielsweise die Beweisaufnahme nicht zugelassen wurde usw.. Als fünftes wurde der vorausschauende Gehorsam genannt, "die Auswüchse praktischer materieller Rechtsprechung". Hier gibt es klassische Beispiele im Falle der Gruppenverfolgung. Gruppenverfolgung wird nur bei Personengruppen anerkannt, deren Gruppengröße gering ist. Dies war bei den yezidischen Kurden in Türkei inzwischen der Fall geworden und einer Gruppenverfolgung wurde stattgegeben. Schlichte "Faulheit" war die sechste These Hofmanns. Die Wahrheit zu ergründen, macht Arbeit, insbesondere wenn es sich um fremde Länder handelt und die Informationsbeschaffung schwer ist. Grundsätzlich werden vorrangig die Lageberichte des Auswärtigen Amtes als Gutachten herangezogen. Dies führt in Asylverfahren zu dem absurden Zustand, daß ein Flüchtling gegen die Bundesrepublik Deutschland klagt, um als Asylberechtigter anerkannt zu werden, und das Gericht urteilt nach einem Gutachten, daß die Bundesrepublik Deutschland, eben das Auswärtige Amt, erstellt hat. Dabei kann es schon mal vorkommen, daß das AA immer wieder die gleichen Einschätzungen über Zustände in bestimmten Regionen der Türkei gibt, obwohl seit drei Jahren kein Botschaftsangehöriger mehr dort war. Dann gibt es siebtens auch bei den RichterInnen das "Gefühl des Mißbrauches". Die meisten RichterInnen fühlen sich durch die Asylverfahren mißbraucht und meinen eigentlich anderes und viel wichtigeres zu tun zu haben, als über die wenig prestigeträchtigen Asylfälle zu entscheiden. Die achte These besagte, daß die Auswüchse bei den Asylverfahren besonders schlimm seien, weil Flüchtlinge eben keine Lobby haben und man mit ihnen machen kann, was man will. Wie erwähnt gab Hofmann unzählige Beispiele von Verwaltungsgerichtsurteilen aus der ganzen Bundesrepublik, z.B. aus Bayern, wo einer Kosovo-Albanerin, die von serbischen Polizisten vergewaltigt und dabei bewußtlos geworden war, gesagt wurde, man würde bei einer Vergewaltigung nicht bewußtlos, sondern würde sich wehren. Außerdem hätte sie den Vergewaltigungsakt nicht detailliert genug geschildert (wie auch, wenn sie bewußtlos war??); z.B. ein Verwaltungsgericht in Frankfurt, wo ein psychologisches Gutachten für ein Folteropfer nicht zugelassen wurde, da die RichterInnen sich selber kompetent genug für die notwendigen Einschätzungen gehalten haben; z.B. der Oldenburger Verwaltungsrichter Burzynska, der es als widersprüchlich ansah, daß ein zairischer Flüchtling, der hier in Deutschland noch in ärztlicher Behandlung war, nur von Folterverletzungen während seiner Haft sprach und seine Frau bei ihrer Befragung erwähnte, ihr Mann sei auch nach seiner Haft verletzt gewesen. Insgesamt gewann man den Eindruck, daß in Sachen Asyl mit dem angeblichen Rechtstaat Bundesrepublik Deutschland vieles im Argen liegt bzw. von Rechtsprechung kaum zu reden ist. Vielfältige Möglichkeiten zum Gegensteuern gegen die derzeitige Entwicklung in der Rechtsprechung konnte Hofmann nicht nennen. Das einzige, was hier etwas nützen würde, sei Öffentlichkeit. Er forderte die Anwesenden auf, sich in die öffentlichen Verwaltungsgerichtsverfahren zu setzen und so zumindest eine kleine Kontrolle auszuüben. Grundsätzlich sei es aber so, daß die Asylverfahren wie eine Lotterie seien und es auch so gewollt ist: Denn bei der Lotterie gibt es nur wenige GewinnerInnen. Arbeitskreis Asyl Oldenburg
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