Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/97      Seite 1
 
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Gib der Freiheit eine Chance

Den Schrecken einer Welt ohne "Zivis" malt derzeit die SPD in Oldenburg aus. In ihrem "Standpunkt" rechnet sie vor: Bei Abschaffung der Wehrpflicht würde auch der Zuvieldienst wegfallen. Die Kosten professioneller Hilfe seien für die sozialen Dienste nicht tragbar. Immerhin wird eine Allgemeine Dienstpflicht seitens der SPD nicht in Erwägung gezogen. Jedoch fallen die Argumente hiergegen dürftig aus: Nicht die Menschenrechte werden angeführt - einzig der Pragmatismus entscheidet. Die erforderliche 2/3 Mehrheit zur Abschaffung der Grundrechte mittels Grundgesetzänderung wird von den Konservativen der SPD derzeit nicht erwartet. Sind für die SPD Menschenrechte käuflich?

Wenn's um's Geld geht: Keine Wehrpflicht!

Dabei ist der Zuvieldienst so preisgünstig nicht, wie auch die SPD-Konservativen ihn vermuten. In Geld gesehen wird vergessen, daß für die Wehrpflicht immerhin der gesamte Musterungsapparat aufrecht erhalten wird. Mediziner und Medizinerinnen kosten aber ebenso Geld wie die Bundeswehrverwaltung -die nun sicher nicht die preisgünstigste der Verwaltungen ist. Für den Zuvieldienst leistet sich die Bundesrepublik ein ganzes Amt: Das Bundesamt für den Zuvieldienst (BAZ) in Köln mit vielen Regionalbetreuer(Innen?). Auch der Beauftragte für den Zuvieldienst arbeitet ebensowenig kostenlos wie sein Pendant, die Wehrbeauftragte.

Die allgemeine Milchbubirechnung

vernachläßigt regelmäßig, daß während Zuviel- oder Wehrdienst keine Steuern und Sozialabgaben geleistet werden. Das gilt ebenso für die immer wieder angedachte Allgemeine Dienstpflicht. Auch wenn zeitweilig in die vorübergehend nicht besetzten Stellen Erwerbslose rücken können, bleibt eine negative Bilanz für Staatssäckel und Sozialkassen.

Grundrecht aus gutem Grund: Freiheit von Zwangsdiensten.

Zwangsdienste greifen in die individuellen Selbstbestimmungsrechte ein. Natürlich ist jede Gesellschaft darauf angewiesen, daß ihre Mitglieder bestimmte Aufgaben erfüllen. Die Erfüllung kann auch nicht dem guten Willen und der Einsichtsfähigkeit einzelner überlassen bleiben. Das Gebot der Gerechtigkeit erfordert, daß diese Aufgaben nach gleichen Bedingungen verteilt werden. Hierbei muß die Verhältnismäßigkeit der Mittel ebenso gewahrt sein wie das Recht der Einzelnen, über ihr Leben selbst zu entscheiden zu berücksichtigen ist.

Auch wenn einige zum Thema Zwangsdienste regelmäßig Plattitüden "das hat noch niemand geschadet" und ähnliches von sich geben: Sicher ist eine Einrichtung wie das Freiwillige Jahr, sei es nun sozial oder ökologisch oder sonst was, sinnvoll. Wie der Name bereits sagt, ist dieser Dienst freiwillig. Es gibt hier gute Erfahrungen, die positiven Seiten von Gemeinschaftsdiensten auf freiwilliger Basis zu nutzen. Daß auch solche Einrichtungen Geld kosten, ist vielleicht daran zu sehen, daß laut Auskunft des Bundesjugendministeriums von drei BewerberInnen lediglich eine Maßnahme durchgeführt wird.

Europa-Recht

Aus der Konvention zum Schutze der Menschenrechte des Europarates: "Niemand darf gezwungen werden, Zwangs-oder Pflichtarbeit zu verrichten." (Art.4 Abs. 2) Das Europarecht ist für die Bundesrepublik gültig und verbindlich. Somit ist der vermeintliche Pragmatismus der SPD-Konservativen als das entlarvt, was er ist: Unwissenheit oder Schlimmeres. Selbst wenn mit Hilfe der SPD Zwangsdienste in Form der Allgemeinen Dienstpflicht per Grundgesetzänderung eingeführt würden, wäre dies unwirksam, stünde dem das höherrangige Europarecht entgegen.

Demzufolge ist es unzulässig, aus Kostengründen am Zuvieldienst festzuhalten, wenn dieser ansonsten als unnötig erachtet wird. Die Einberufungszahlen beweisen jedenfalls, daß eine "Wehrgerechtigkeit" schon lange nicht existiert. Die Chance, der Wehrpflicht zu entgehen ist jedenfalls ungleich größer als dies bei dem Zuvieldienst der Fall ist.

Zwangsdienste gehören zu totalitären Systemen

Für diese haben Individuen keinen eigenständigen Wert. Deshalb gibt es dort oft eine Flut von zugemuteten persönlichen Diensten. Ziel ist es, die Mitglieder der Gesellschaft möglichst weitgehend kontrollieren, beeinflußen und prägen zu können. Ist es das, was die SPD will, wenn sie Zwangsdiensten das Wort redet? Was für ein Menschenbild leitet den Verfasser des "Standpunkt"-Artikels, wenn bei der Lektüre zu ahnen ist, daß Humanität und humanitäre Dienste scheinbar nur funktionieren können, wenn Menschen dazu gezwungen werden. Hier werden bei Menschen, die von Hilfe abhängig sind, unnötige Ängste geschürt. Wie unnötig diese sind, wird sofort klar, wenn wir uns ansehen, wie vielfältig die ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Bundesrepublik sind. Wenngleich es sicherlich hier Förderungsbedarf gibt.

Die Jugend zahlt die Zeche

Das gilt für die Erblasten des Atomstaates und der Mitweltverschmutzung ebenso wie bei der Staatsverschuldung. Die heutigen jungen Menschen werden in ihrem Arbeitsleben viele Ältere unterhalten -und sie werden sie auch pflegen. Es ist jedoch keine Staatsaufgabe, Versäumnisse der Erziehung zu Menschlichkeit und Gemeinsinn durch Zwangsmaßnahmen zu korrigieren. Ohnehin ist dadurch keine Stärkung von Gemeinschaftlichkeit zu erreichen, so gehts nach hinten los.

Wer möchte per Zwang gepflegt werden?

Bei der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung gilt der Grundsatz, nur Zuvis heranzuziehen, die zu diesen Diensten am Nächsten bereit sind. Dieser Grundsatz muß auch für Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeheime ... gelten. Die seitens der SPD unerwünschten professionellen Kräfte mögen zunächst teurer scheinen -sie sind aber ausgebildet, weshalb sie wesentlich rationeller arbeiten. Und sie sind mit Sicherheit für ihre schwere Tätigkeit motiviert. Was sicherlich positiven Einfluß auf ihre Tätigkeit hat.

Was können wir uns leisten?

Eines bestimmt nicht: Den Luxus, Selbstbestimmungsrechte unserer Mitmenschen zu ignorieren und mißachten, weil es so naheliegend scheint, per Zwang zu erreichen, was per Zwang nicht erreichbar ist. Unter solchen Methoden haben alle Beteiligten zu leiden. Mit kurzsichtigem Stammtischgehabe dürfen soziale Fragen nicht abgehandelt werden. Zur Sicherstellung sozialer Dienste müssen alle Zwangsdienste abgeschafft werden. Zum Schutz der Demokratie gilt dies erst recht.

Gerold Korbus

Quellen: 4/3 1994 - Allgemeine Wehrpflicht - Falsche Antwort auf richtige Fragen

Standpunkt 42 (SPD-OV-Nord)

Weitere Informationen: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. - Gruppe Oldenburg -Treffpunkt 1.+ 3. Do 18 h ALSO, Kaiserstr. 19 Tel. 04407,424


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