Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/97      Seite 1
 
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NiX³ erreicht?

Ein Bericht über den vergangenen CASTOR-Transport ins Wendland und was OldenburgerInnen dabei erlebt haben.

Ab Anfang des Jahres stand der Termin für den CASTOR-Transport ins Wendland relativ fest. Der für den letzten Herbst geplant Transport von drei CASTOREN nach Gorleben war zuvor durch den entschiedenen und dauerhaften Widerstand der Bevölkerung im Wendland und anderer AtomkraftgegenerInnen verhindert worden. Der neue Transport sollte Anfang März stattfinden und fand dann auch vom 3.3. bis zum 5.3 statt. Entsprechend der Parole "Den CASTOR stoppen, bevor er losfährt" waren schon für die Wochen vorher viele Aktionen organisiert worden. Ein Höhepunkt war sicher der Schienenaktionstag am 15.2., über den schon im letzten Stachel berichtet wurde, und an dem viele OldenburgerInnen teilgenommen haben.

Die Lüneburger Großdemo...

Am 1.3. fand in Lüneburg die große Tag X3 Auftaktdemonstration statt, an der um die 20.000 Menschen teilnahmen. Schon am Abend vorher wurde die Bezirksregierung in Lüneburg blockiert. Lüneburg war als Startpunkt für die Proteste gegen den Six-Pack CASTOR-Transport gewählt worden, da von dort während der beiden vorangegangenen Transporte die Polizei ihrer Einsätze koordiniert hat und da die Bezirksregierung in Lüneburg in den Genehmigungsverfahren zu den Atomanlagen in Gorleben eine wichtige Rolle spielt.

Im Anschluß an die Groß-Demonstration startete ein Treck mit über 100 Treckern, Unmengen von Autos und Bussen sowie Fahrrädern über Dahlenburg ins Wendland. Vom Treck verteilten sich schon viele TeilnehmerInnen auf Camps entlang der möglichen Transportstrecken des CASTOR Sixpacks.

Den OldenburgerInnen stand, wie schon im letzten Jahren, das Gemeindehaus in Hitzacker, 8 km von Dannenberg entfernt, zur Übernachtung zur Verfügung.

Das "Oldenburger Haus" in Hitzacker

Das Gemeindehaus war auch in den folgenden Tagen der Treffpunkt für viele OldenburgerInnen um zu schlafen, zu essen, sich auszuruhen und um Informationen zu bekommen. Von dort aus starteten wir am Sonntag nachmittag zur "Mäuseplage" entlang der Schienenstrecken im Wendland. Obwohl sich der Beginn des "Aktionsspiels", bei dem möglichst viele kleine Gruppen entlang der Bahnstrecken teilnehmen sollten, wegen der "Stunkparade" verzögerte, hatten wir eine Menge Spaß. Überall an der Strecke fanden Besichtigungen der "Gleiskörper" statt und Wühlmäuse traten auf. Ganz nebenbei wurde einer der letzten noch von Lüneburg nach Danneberg fahrenden Personenzüge gestoppt. An der Stunkparade, die von Gorleben aus nach Dannenberg fuhr, beteiligten sich mehr als 600 Trecker, unzählig viele Autos, Motorräder, ... und ca. 10.000 Menschen, die sich nach der Parade endgültig in den Widerstandscamps an den möglichen Transportrouten des Sixpacks festsetzten.

Am Sonntag planten alle OldenburgerInnen in Hitzacker (so zwischen 50 und 70 Menschen) zusammen eine Gewaltfreie Aktion an der Schiene. Bereits am Abend begannen wir an Häuser, die Nahe an der Schiene lagen, einzusickern, um dann ab Montag Mittag vollzählig (ca. 80 Menschen) und unbemerkt ganz nah an der Transportschiene zu sein. Dann begann die lange, teilweise nicht gerade nervenschonende Warterei. Der CASTOR-Transport über die marode Schienenstrecke Lüneburg - Dannenberg verzögerte sich, weil überall größere und kleinere Gruppen aktiv wurden, die den CASTOR-Transport merklich aufhielten. Ein paar Menschen betonierten sich ins Gleisbett, andere ketteten sich mithilfe von unter der Schiene verlaufenden Rohren derart an, daß die Polizei irgendwann entnervt aufgab, und die Gleise auseinanderzuschweißte. Planmäßigerweise sollte der Transport gegen 16:00 Uhr in Harlingen vorbeifahren, tatsächlich kam er gegen 23:00 Uhr (vorerst nicht) an uns vorbei.

Auf der Schiene...

Von unserem "Vorwarnposten" gewarnt, verließen wir kurz nach 23:00 Uhr das Haus, um schnell zur Schiene zu wandern. Trotz Schienenbewachung und Helikoptern mit Suchscheinwerfern kamen wir glücklich auf den Gleisen an, an denen sich prompt 5 Menschen aus unserer Gruppe mit Bügelschlössern um den Hals festketteten. Die Polizei räumte, nachdem sie eine Viertelstunde einfach nur hilflos auf unsere Schienenblockade reagiert und Verstärkung angefordert hatte, die Blockade - bis auf die Angeketteten. Zum Ende der Teilräumung erschien auch der CASTOR-Zug, der im folgenden eine Dreiviertelstunde warten mußte. Die Polizei ruinierte mehrere Bolzenschneider an den eingesetzten Schlössern und kam auch mit Sägen nicht durch. Letztendlich mußte eine Flex mit tragbarem Generator herbeigeschafft werden, um die letzten beiden Angeketteten loszuschneiden. Ein schöner Erfolg für alle an der Aktion beteiligten, der uns für die kommenden Tage Mut machte.

...und auf der Straße

Am folgenden Tag war Mittags in Hitzacker ein großes Infoplenum für Alle, bei dem der anstehende Straßentransport der CASTORen und die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, erörtert wurden. Die Meisten fuhren nach dem Plenum in das große Camp in der Nähe der Verladestation in Splietau und nahmen im folgenden an der X-tausendmal-quer Blockade teil. Entlang der Transportstrecke existierten mehrere Camps, von denen aus die verschiedenden Gruppen ihren Protest mit ihren jeweils eigenen Aktionsformen deutlich machten.

X 1000 mal quer

Die Idee von X-tausendmal-quer war, mit rein gewaltfreiem Protest von einer möglichst großen Menge von Menschen den CASTOR-Transport über die Straße zu verhindern. Bei der X-tausendmal-quer Blockade waren 12.000 Menschen anwesend, und wenn die Polizei verhältnismäßig gegen die gewaltfreie Sitzblockade vorgegangen wäre, wäre der Transport nicht möglich gewesen.

Die Blockade vor dem Verladekran hatte schon am frühen Dienstag Nachmittag, als die OldenburgerInnen ankamen, eine Länge von mindestens 700 Metern. Wir eroberten dann noch über 50 Meter, indem wir in die anschließende Polizeiblockade einsickerten und uns zwischen die Autos und PolizistInnen setzten. Nach einer Weile zog es die Polizei vor, diese unkontrollierbare Situation zu beenden, und verließ unseren Straßenabschnitt. Während des ganzen Nachmittags und Abends fand überall an der Blockade Musik, Theater, Jonglage, ... einfach alles statt. An mehreren Stellen gab es zu Essen und Trinken; es gab Infostände und zum Schlafen gabs Stroh in Massen auf der Straße. Ab ca. 1:00 Uhr begann die Polizei in der Nähe des Verladekrans mit der Räumung der Blockade. Anfangs ging sie noch relativ angemessen vor und trug die Sitzenden von der Straße, ohne zu treten oder zu schlagen. Nachdem sie bis 4:00 mit der Räumung nicht weit gekommen und für sie abzusehen war, daß die CASTORen so nicht ins Zwischenlager kommen würden, eskalierten Polizei und BGS die Situation und setzte Wasserwerfer, weniger zum direkten Wegspülen, mehr zum Beregnen der DemonstrantInnen ein. Hierzu muß gesagt werden, daß zu der Zeit Temperaturen deutlich unter dem Nullpunkt herrschten. Gegen das Wasser schützten sich die SitzblockiererInnen in der Folge mit Plastikplanen. Als der Polizei klar wurde, daß sie die friedlich protestierenden Menschen während des ganzen Tages so nicht räumen können würde, begann sie, die Blockade auch von der anderen, unserer, Seite abzuräumen. Dabei wurden die inzwischen berühmt - berüchtigten Berliner Polizeieinheiten eingesetzt. Diese Truppen eskalierten die Gewalt vollständig, friedliche SitzblokiererInnen wurden massiv getreten, geschlagen und brutal von der Straße gezerrt - eher geworfen. Die eingesetzten Wasserwerfer erhöhten ihren Druck, um die Menschen von der Straße zu spülen, praktisch abzuschiessen, und sie zu verletzen. Sogar in dieser Situation ging von der Seite der DemonstrantInnen keinerlei Gewalt aus, viele wurden trotz ihrer Friedlichkeit von PolizistInnen und den Strahlen aus den Wasserkanonen verletzt. Gegen 7:00 kamen dann die im Wendenland inzwischen nur allzugut bekannten Magdeburger Schutzpolizisten, die den Berliner Einheiten halfen, mit purer Gewalt die Straße zu räumen. Nach 7 (!) Stunden Wasserwerfer-Dauereinsatz war die Straße gegen 11 Uhr geräumt. Geräumt? Nein, ein paar unbeugsame hatten sich an Seilen über der Straße aufgehängt, außerhalb der direkten Reichweite der Polizei ... Trotz ihrer ungeschützen Position mehrere Meter über der Straße wurden die AktivistInnen wiederholt von den Wasserwerfern beschossen. Erst gegen 12:00 Uhr begann endgültig die Fahrt der CASTORen nach Gorleben, nachdem zwei der AktivistInnen versucht hatten, auf einem CASTOR-Transporter zu "landen".

Aufruhr, Widerstand...

Der Transport nahm seinen Weg über die Nordroute; die kürzere, sonst gefahrene Südstrecke war durch Treckerblockaden, Straßentiefbauarbeiten und aufgrund häufigen Barrikadenaufkommens unbefahrbar geworden. Schon am vorangegangenen Tag hatten Polizeistreitkräfte die Nordroute weiträumig abgesichert, eine durchgehende Polizei Fahrzeugkette parkte am Rande der Straße. Der Transport wurde im folgenden noch öfter gestört, seit dem Morgen waren größere und kleinere Gruppen überall an der Straße aktiv. Bei Quickborn waren es ca. 2.000 Menschen, die teilweise brennende Barrikaden auf der Straße errichtet hatten. Aber wegen der allgegenwärtigen Polizeipräsenz durch Patrouillen, Beobachtungshelikopter und durch den Wald streunende, teilweise vermummte SEKs waren erfolgreiche Aktionen eher Mangelware. Insgesamt war ein Durchkommen auf die Straße kaum möglich, auf jeglichen Versuch wurde mit brutalster Gewalt seitens der Polizei reagiert. Es kam zu Knüppeleinsätzen und Kesseln im Wald. Ungefähr zu Beginn des Straßentransportes landeten mehrere Transporthubschrauber bei der Splietauer Treckerblockade und bearbeiteten die Treckerreifen mit Messern und Bolzenschneidern. Aus den platten Reifen floß das Frostschutzmittel gleich Literweise in die anliegenden Gärten. Die Aktion der Spezialeinheit dauerte nur wenige Minuten, dann wurden sie von entschlossenen BäuerInnen vertrieben. Trotzdem: der Schaden beträgt ca. 70.000 dm!

Bei Grippel/Laase, dort wo Nord und Südstrecke wieder zusammenlaufen, gab es noch ein paar gelungene Aktionen, der CASTOR kam noch einmal kurzfristig zum stehen. In den Gebieten rund um die Nordstrecke waren zeitweise bis zu 6000 Menschen aktiv, von denen viele Richtung Zwischenlager zogen. Letztendlich war der Transport ab Laase so stark gesichert, daß ein Durckommen auf die Straße nicht mehr möglich war. Sämtliche Straßen und Wege zum Zwischenlager wurden von der Polizei gesperrt, so daß auch ein Erreichen des "Gorlebener Entsorgungsparks" kaum noch möglich war. Der CASTOR Sixpack erreichte dann um kurz nach 15:00 Uhr das Zwischenlager.

...wir wollen kein verstrahltes Land

Insgesamt hat die Bevölkerung des Wendlands den Protest massiv getragen und auch den von außerhalb des Landkreises angereisten AtomkraftgegnerInnen viel Unterstützung gegeben. An vielen Orten wurden Nahrungsmittel und Getränke bereitgestellt, Übernachtungsmöglichkeiten und Werkzeuge angeboten. Vor und nach Aktionen wurden Auto-Shuttledienste organisiert, Hilfe und Materialien für Aktionen gab es immer wieder. Wir OldenburgerInnen sind besonders den HitzackeranerInnen zu Dank verpflichtet, deren Gemeindehaus wir jetzt schon zum dritten Mal zum Wohnen im Wendland während der X-Tage benutzen durften.

Der Grundrechtsfreie Raum

Die massiven Übergriffe der Polizei und BGS Truppen gegen alle Menschen im Landkreis haben Ausmaße angenommen, die nicht mehr tragbar sind. Die RettungssanitäterInnen der DemonstrantInnen, wie z.B. die Paramedics aus Hamburg, wurden durch die Polizei aufgehalten und teilweise, trotz Verletzten und Hilferufen, nicht zu den Verwundeten durchgelassen - den gekennzeichneten SanitäterInnen wurden stellenweise sogar Platzverweise erteilt. Teilweise gab es für - ausgewiesene - JournalistInnen Fotografierverbote, das Wendland war für die Zeit der Transporte ein Ausnahmegebiet geworden.

Aber auch das Vorgehen der Polizei mit Tritten, Schlägen und scharfem Wasserwerferstrahl bei Minustemperaturen zur Räumung einer Straße von gewaltfreien SitzblockiererInnen beurteilen wir als kriminell. Die Polizei hat im Wendland jedes Maß an den Verhältnissen angepaßtem Handeln aufgegeben.

Fazit

Obwohl der CASTOR-Transport das Zwischenlager erreicht hat, kann der breite Protest im Wendland als Erfolg gesehen werden. Letztendlich konnte der Transport nur durch Außerkraftsetzung der elementaren Grundrechte durch Polizei und BGS durchgeprügelt werden. Durch die Erfahrungen, die wir auch bei diesem CASTOR-Transport wieder gemacht haben, wird erneut deutlich, daß Atomkraft und Demokratie unvereinbar sind. In einem Atomstaat zählen gewerbliche Gefahrguttransporte mehr als das Allgemeinwohl und die Wahrung von Grundrechten. Zumal es sich erneut gezeigt hat, daß diese Atomtransporte von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden.

Das diesjährige Streckenkonzept, das an eine alte Widerstandstradition im Wendland anknüpft, nämlich daß alle Gruppe an eigenen Orten ihren Widerstand in ihren eigenen Formen durchführen können, hat sich bewährt. Wir gehen davon aus, daß gegen dem nächsten CASTOR-Transport ins Wendland, der voraussichtlich erst in anderthalb Jahren stattfinden wird, deutlich mehr Menschen protestieren werden. Der Preis des nächsten Transports wird dann sicher die jetzige Rekordmarke von 160 Mio. überschreiten.

Wahrscheinlich ist, daß der nächste CASTOR-Transport von abgebrannten Brennstäben nach Ahaus stattfinden wird. Auch hiergegen wird bereits Protest in der Region organisiert: vom 30.4. bis zum 4.5 finden in Ahaus durchgehend Aktionen statt, am 1. Mai findet dort ein großes Festival gegen das Zwischenlager statt.

Jens und Richard

Termine:

Olga (OldenburgerInen gegen Atomkraft) nächstes Treffen am 7.April. (Infos unter 777640)

Anti AKW/Anti Milli Gruppe (nächstes Treffen unter 14402 erfragen)

OL Anti-Atom-Plenum jeden dritten Dienstag im Monat, 20:00h im Beppo

AKW (Arbeitskreis Wesermarsch) nächstes Treffen am 21.April um 20:00h im Jugendumweltbüro Oldenburg (9849905)

Spendenadresse der bäuerlichen Notgemeinschaft

Kontonummer 8904

BLZ 25851335

Kreissparkasse Lüchow


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