Ausgabe 11/96 | Seite 13 | |||||
Unkraut im Uni-Netz?
FBI entfernte GraswurzelnAlle reden vom Internet, der Datenautobahn und dem World-Wide-Web (WWW), dem angeblich freiesten und demokratischsten Medium unserer Zeit. Das World-Wide-Web ist ein Konzept, das den Computer-BenutzerInnen Textseiten auf dem Bildschirm anzeigt, die auf einem anderen vernetzten Computer irgendwo in der Welt zum Lesen abgelegt sind. Diese Textseiten können auch durch Grafik aufgelockert und anspruchsvoll oder -los gestaltet sein. Besonderheit dieser sog. WWW-Seiten sind hervorgehobene Textstellen oder Grafiken, die über die Maus angeklickt werden können. Hinter diesen "Klickstellen" verbergen sich weitere WWW-Seiten, die nach dem Klicken auf den lokalen Computer geladen und dargestellt werden (Hypertext). Das World-Wide-Web ähnelt also stark einem Lexikon mit zig Verweisen. Aufgrund einiger Zensurbestrebungen von unterschiedlicher Seite stellen sich folgende Fragen: · Wie weit geht die Netz-Freiheit? · Wer wacht über die Einhaltung der (welcher?) Gesetze?
Wer ist verantwortlich?Wer kann überhaupt Legislative und Exekutive sein in solch einem internationalen System? (Die UNO?) Und wer wird - im Falle eines Falles - zur Rechenschaft gezogen? Die Personen, die die Seiten schreiben oder auf ihren Rechner ablegen, die Anbieter des Netz-Zugangs oder die Inhaber der Leitungen, über die das Ganze um die Welt geht? (Auf die beiden letzten zielt ein Gesetz, das Clinton dann doch noch nicht verabschiedete.) In vorauseilendem Gehorsam haben Anfang September die Netz-Anbieter CompuServe, AOL und T-Online den Abruf der radikal-Seiten gesperrt, noch bevor die Staatsanwaltschaft diesbezüglich Schritte unternahm. CompuServe ging sogar so weit, die Seiten der PDS-Abgeordneten Marquart zu sperren, weil sie darauf einen Verweis zur "radikal" gelegt hatte - mit einer deutlichen Distanzierung von etwaigen gewaltfordernden Inhalten.
Die Uni als Netz-AnbieterAuch die Unversität Oldenburg ist, wie fast jede Uni, ein Anbieter von "Auffahrten" zur Datenautobahn. In erster Linie deshalb, um Forschung und Lehre zu erleichtern. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Hochschulen sind die Studierenden in Oldenburg in der glücklichen Lage, einen fast unbeschränkten Zugang zu Computern und damit auch zum Internet zu haben.
Studenten publizieren selbst ...Einem Teil von ihnen, besonders den Informatik-Studis, ist es sogar möglich, eigene WWW-Seiten zu gestalten und der (vernetzten) Welt anzubieten. Auf ihnen finden sich meistens Verweise zu anderen Seiten, die die jeweiligen Studierenden interessant finden. Andere wollen selbst informieren oder ihr Hobby vorstellen. So finden sich dort Informationen über Pink Floyd, Fußball, Weltweiter Rundfunkempfang u. ä. Deshalb stellt sich auch für die Universität die Frage, wo sie die Grenzen der Freiheit zieht. Dazu soll von zwei kürzlich erfolgten Sperrungen von persönlichen Seiten im Fachbereich Informatik (FBI) berichtet werden.
... aber einige dürfen nicht mehrEin Student, der die "Graswurzelrevolution" (Monatszeitschrift der anarchistisch gewaltfreien Bewegung) auf seinen Seiten abgelegt hatte, erhielt am 22. 8. elektronische Nachricht vom Fachbereich Informatik: "Es ist aufgefallen, daß Sie die Rechner und die Netze der ARBI (Abteilung Rechner- und Netzbetrieb Informatik) für private und/oder kommerzielle Zwecke verwenden. Ich fordere Sie hiermit auf, eine Nutzung zu anderen als in der Benutzungsordnung genannten Zwecken im Rahmen der Aufgaben der Universität (§2 NHG) zu unterlassen. Sie müssen im Wiederholungsfall damit rechnen, daß Ihnen die Rechnernutzung untersagt wird. Unabhängig davon kann die Universität auch Schadenersatz verlangen." Von einem Hinweis darauf, daß sich diese Mitteilung auf die WWW-Seiten mit der "Graswurzelrevolution" beziehen, war keine Spur. Gleichzeitig sperrte der Fachbereich sämtliche WWW-Seiten dieses Studenten für die Öffentlichkeit, ungeachtet der Tatsache, daß er dort nicht nur die "Graswurzelrevolution" veröffentlicht hatte.
Das Tappen im DunkelnDer Student vermutete, daß die "Graswurzelrevolution" Grund für die Sperrung gewesen sein könnte, und fragte nocheinmal nach. Die ARBI antwortete, er verstoße gegen die Nutzerverordnung, weil er den Dienst nicht für Studium, Lehre, Forschung und angemessene kulturelle und sportliche Betätigung der Studierenden nutzte, und verwies auf §2 Nieders. Hochschulgesetz. Er rechnete sich kaum Chancen aus, gegen die Verwarnung anzugehen, lagerte die "Graswurzelrevolution" auf einen anderen Server aus, reaktivierte seine anderen Seiten wieder und ließ die Sache auf sich beruhen. Bis heute nicht auf den ARBI-Rechnern reaktiviert sind die WWW-Seiten eines anderen Studenten, der den Stachel angeboten hatte und den eine knappe Woche später das gleiche Schicksal ereilte. Auch hier wurden alle WWW-Seiten gesperrt, er erhielt die gleiche Verwarnung und wurde im Unklaren gelassen, weshalb er gegen die Nutzungsverordnung verstoßen habe. Auf seine Anfrage per elektronischer Post, um welche Dateien es denn überhaupt gehe, erhielt er zunächst keine Antwort. Erst als er einen Monat später seine Fragen nochmals auf Papier stellte, erhielt er eine Antwort. In ihr bestätigte die ARBI, daß sie durch den Hinweis eines Studenten auf den Stachel aufmerksam wurde. Nach unseren Informationen hatte sich ein unbeteiligter Student, der von der Sache erfahren hatte, für die "Graswurzelrevolution" einsetzen wollen. Dabei erwähnte er jedoch leider den Stachel, was die ARBI zum Anlaß nahm, auch den Stachel vom Netz zu nehmen. Von einem Zusammenhang zwischen der Sperrung der "Graswurzelrevolution" und des Stachel wollte der Wissenschaftliche Leiter der ARBI, Prof. Gorny, jedoch nichts wissen. Die Ereignisse lägen zufällig zeitlich eng beieinander. Allerdings hätte es erst nach der Sperrung des Stachel einigen Wirbel gegeben. Der Student, der den Stachel ins Netz stellte, meinte dazu gegenüber dem Stachel: "Man hätte sich viel Arbeit und Streß sparen können, wenn die ARBI das Gespräch gesucht hätte, um eine Lösung in beiderseitigem Intesse zu finden."
Geheimnisvolle VorgeschichteInsgesamt hinterließen unsere Recherchen den Eindruck, daß die offiziellen Stellen nicht gerne Informationen über diese Angelegenheit herausgäben. Ein Schleier liegt insbesondere über der Vorgeschichte, die zur Sperrung der Graswurzelseiten geführt hat. Auf inoffiziellem Wege drang zu uns, daß der Sperrung eine Anfrage beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) vorausging, das sich an die höchste Ebene der Universität gewendet haben soll. Von dort soll ein Schreiben an den Fachbereich Informatik gegangen sein, das für eine genauere Untersuchung der studenteneigenen WWW-Seiten und Diskussionen in Fachgremien gesorgt haben soll. Eine offizielle Bestätigung dafür war nicht zu bekommen. Die ARBI sagt, von der Uni-Pressestelle sei lediglich eine Nachfrage dazu gekommen. Auch die Uni-Pressestelle gab keine konkrete Information preis. Es scheint, als sei die Angelegenheit entweder an ihr vorbeigegangen oder schnell vergessen worden. Herr Hader, Sprecher des MWK in Hannover, erklärte, ein Journalist eines "Pressemediums" sei auf die WWW-Seiten mit der "Graswurzelrevolution" aufmerksam geworden und habe bei der Pressestelle des Ministeriums angefragt. Während er sich an den Namen der Publikation sehr gut und spontan erinnern konnte, wußte er nicht mehr, ob der Journalist die "Graswurzelrevolution" nur in einem Nebensatz fallen ließ oder direkt fragte, wie es denn angehen könne, daß die Rechner der Universität dafür gebraucht würden: "Das weiß ich nicht mehr, das ist zu lange her." Gleiches kam auf unsere Frage, ob die Nachfrage in Oldenburg an die Pressestelle oder an das Uni-Präsidium ging - es sei jedenfalls ein "Dienstweg" gewesen. Es kann allerdings durchaus ein Dienstweg sein, wenn Pressestellen sich gegenseitig kontaktieren. Sicher ist zumindest Folgendes: · Der Präsident der Universität persönlich hat in einem Schreiben an das WMK den Vollzug des Entfernens der GWR von landeseigenen Rechnern gemeldet (in diesem Schreiben steht auch, die Unileitung hätte den betreffenden Studenten abgemahnt!) · Die beteiligten Stellen (ARBI, Pressestelle, MWK) reagierten sehr zurückhaltend bei unseren Nachfragen und verbreiteten z. T. Unwahrheiten!
Neue Benutzungsordnung?Um in Zukunft mehr Klarheit für alle Beteiligten zu schaffen, wurde ein Arbeitskreis ins Leben gerufen, in dem "diskutiert werden (wird), ob die bestehenden Benutzungsordnungen klarer auszuformulieren sind und ob ein Leitfaden zur Nutzung ... helfen könnte, ... Mißverständnisse zu vermeiden." (Uni-Info 8/96) Fragt sich, wer nach einem entsprechenden Ergebnis des Arbeitskreises diesen Leitfaden verfaßt und beschließt. Bisher gibt es nur innerhalb der Informatik "Hinweise für die Nutzung von Informationsdiensten über Rechnersysteme" (vom 14. 10. 96!). Darin ist von "Forschung, Lehre und Studium und ... allgemeinen kulturellen und gesellschaftlichen Angelegenheiten" die Rede. Es fehlt auch nicht der schöne Hinweis: "Eine Zensur einzelner Nachrichten findet nicht statt" (Stattdessen werden ganze Datensätze von Einzelpersonen abgeklemmt!?). Dieser "Fall" läßt ahnen, wieviel Schwierigkeiten die Freiheiten dieses neuen Mediums machen. Sowohl für die Anbieter von Netzzugängen (,Auffahrten"), aus Angst vor der Staatsanwaltschaft oder dem Mißbrauch öffentlicher Ressourcen, als auch für die Personen mit eigenen WWW-Seiten, die dadurch weltweit gelesen werden können.
(Un-)Möglichkeiten der Internet-ZensurKlar ist aber auch, daß es bisher praktisch unmöglich ist, Informationen, die einmal im Netz veröffentlicht wurden, zu zensieren. Das geht nur über eine totale Kontrolle jeglichen Datenverkehrs, wie es China betreibt, sich damit aber faktisch vom Netz abkoppelt. Oder über eine Einigung aller Netzanbieter auf eine gemeinsame Nutzungsordnung. Davon ist bisher noch nichts in Sicht.""Klar ist aber auch, da es bisher praktisch unmöglich ist, Informationen, die einmal im Netz veröffentlicht wurden, zu zensieren. Das geht nur über eine totale Kontrolle jeglichen Datenverkehrs, wie es China betreibt, sich damit aber faktisch vom Netz abkoppelt. Oder über eine Einigung aller Netzanbieter auf eine gemeinsame Nutzungsordnung. Davon ist bisher noch nichts in Sicht. Sperrversuche, wie sie gegen die "radikal" von deutschen Anbietern unternommen wurden, müssen scheitern. Es ist einfach zu verführerisch für die "Internet-Gemeinde", solche Zensur-Bestrebungen durch "Spiegelungen" der blockierten Seiten zu verhindern. (Mittlerweile gibt es die "radikal" unter 58 Adressen zu lesen, darunter einige in den Niederlanden, Italien, Rußland, den USA und Japan ...) ch
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